Volkswirtschaftliche Grundgesetze im Kapitalismus und der Superzyklus

(Forumsbeitrag von Dieter am 10. Juli 2001)

Fundamentale Gedanken

Ich hatte vor längerer Zeit mal einen Beitrag im JüKü-Forum gelesen (Autor und Datum weiß ich nicht mehr), der sich mit den Folgen unseres Zinses-Zinssystems beschäftigte und mich zu folgendem Gedankenspiel inspirierte.
Jeder kennt die Exponentialkurve, die eine Zinseszinsrechnung mit beliebigem Zinssatz aus einer fixen oder variablen Summe entstehen lässt.
Geht man davon aus, dass nach einem wirtschaftlichen Niedergang wie z.B. 1929/32 eine neue Wirtschaftsordnung entsteht mit stark steigenden Bedürfnissen, einer stark wachsenden Industrie, die z.T. kreditfinanziert ist, um ausreichend Wachstumsmittel zu haben, so ergibt sich folgender Effekt:

In der ersten Zeit bewirkt die Kreditfinanzierung starke Steigerungsraten bei Industrie und BSP. Die Zinsen werden ohne Probleme durch die Steigerung des BSP und Produktivität aufgefangen. Leichte Inflationierung führt außerdem zur Erhöhung der Geldmenge. Zinseszins lässt im Laufe der Zeit die exponentielle Kurve immer schneller ansteigen. Das ganze läuft so lange gut, wie das Wirtschaftswachstum jährlich stärker steigt als der zu zahlende Zinseszins auf die Summe der Gesamt-Volkswirtschafts-Schulden. Da das Wirtschaftswachstum aber nicht exponentiell wächst (kann es nicht), werden sich ab einem bestimmten Zeitpunkt beide Kurven schneiden. Spätestens ab diesem Zeitpunkt fängt eine Umverteilung an, die dazu führt, dass die Kapitalseite zunehmend gewinnt, während die Investitionen in normalen Produktionsfaktoren zunehmend verlieren. Von daher ist es kein Wunder, dass die Zahlungsströme im Verhältnis zum BSP ständig steigen.

Bei einer geschlossenen Volkswirtschaft, wäre nach diesem System diese bald ruiniert, (übliche Zyklik), je nach Höhe des durchschnittlichen Zinses und der Innovationskraft und des Produktivitätsfortschritts in unterschiedlichen Zeiträumen.

Wieso konnten dann Volkswirtschaften wie bspw. die Englische so lange überleben ohne dass es zum gewohnten Niedergang gekommen ist. Ganz einfach: England war sehr lange Kolonialmacht. Die benötigten Mittel zur Deckung der Kapitalzinseszinsen wurden durch Ausbeutung der Kolonien erbracht, (ähnlich wie es die globalisierten Industrienationen heute im allgemeinen machen). Heute streunt dieses Kapital nicht nur in England, sondern wenn man bedenkt, dass der größte Teil der US-investierten Geldes nicht aus Amerika von Amerikanern stammt wird klar, wie es läuft. Das Kapital geht dorthin, wo Volkswirtschaften oder Kapitalgesellschaften in der Lage sind Zinseszinsen über noch stärkeres Wachstum zu tragen - also entweder Volkswirtschaften die noch einen geringen Verschuldungsgrad haben und somit mit niedrigen Steigerungen des BSP die Zinsen (Zinseszinsen) tragen können oder Volkswirtschaften mit zwar starker Verschuldung aber noch größerem Wachstum. Firmen, die überleben wollen, sind allein zur Deckung der Kapitallasten (einschl. Kapitallasten in Steuern, Vorprodukten, etc. enthalten) gezwungen, entsprechende Wachstumsraten hervorzubringen - der Zwang zur Globalisierung oder zu innovativen Produkten.

Wie hoch muss die Steigerung der Produktivität oder des Wachstums ausfallen, um reales Vermögenswachstum zu erzeugen? Gehen wir mal davon aus, dass ggf. 1/3 unserer Steuern und Sozialausgaben zur Zahlung von Zinses-Zinsen verwendet wird. Gehen wir weiter davon aus, dass die investierten und konsumierten Güter ebenfalls kalkulatorisch und real stark zinsbelastet sind, ebenfalls Immobilien, Mieten, etc., so ist schnell ersichtlich, dass die Steigerung des BSP oder der Produktivität schon erheblich bei einer fortgeschrittenen Volkswirtschaft sein muss (Ich schätze mal 20 %). Ansonsten kommt es zwangsläufig zur Umverteilung, was wir seit längerem in Deutschland auch beobachten können (Umverteilung findet auch statt durch Kürzung von staatlichen Leistungen ohne entspr. Steuerkürzung).

Wer gewinnt und wer verliert?

Gewinner ist demnach jeder, der sein Vermögen jährlich höher steigern kann als sein gezahlter Zinsanteil (Zinseszins) an investierten und konsumierten Gütern, sowie zu zahlender Steuer- und Vorsorgeaufwendungen. Also sagen wir mal salopp, derjenige der eine Steigerung seines Vermögens um jährlich 30 % erzielt. 
Verlierer ist demnach jeder Arbeitnehmer, jeder Normalsparer, die Mehrzahl der Unternehmer und Selbständigen, die Rentner.

Was hat das ganze nun mit den Aktienmärkten zu tun? Ich sehe:

  1. Einen Zwang zur Globalisierung mit dem notwendigen und angestrebten Ziel, andere Länder, Emerging Markets, Dritte Welt, wenig verschuldete Volkswirtschaften auszubeuten zur Deckung der eigenen Kapitalkosten älterer (und damit anteilmäßig höher belastet durch Zinseszins) Industriestaaten.

  2.  
  3. Industriezweige, die trotz Globalisierung nicht in der Lage sind, entsprechende Produktivitätswachstumsraten zu erzielen, werden vernichtet oder abgewertet durch Geldentzug.

  4.  
  5. Volkswirtschaften mit deren normalem Gewerbe und Industrie werden durch Geldentzug abgestraft bzw. vernichtet.

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  7. Aufgrund der weltweiten Verflechtungen und Globalisierung ist das Spiel wahrscheinlich erst zu Ende, wenn die Volkswirtschaften der Welt in ihrer Summe geringere Wachstumsraten und Produktivitätsfortschritte aufweisen als zur Bedienung des Kapitals notwendig ist mit der Folge, dass es nicht zu lokalen Wirtschaftskrisen kommt, sondern aufgrund der Globalisierung zur weltweiten Wirtschaftskrise (Not, Kriege, etc. eingeschlossen).

  8.  
  9. Die Aktienmärkte der Zukunft können demnach nur noch Industriebereiche oder Volkswirtschaften mit sehr großen Wachstumsraten sein.

  10.  
  11. Durch die Inflationierung der Währungen wird die zuvor dargestellte Thematik verschleiert. Nimmt man z.B. den Dow Jones Ind. (alte Industrie), so sieht man anhand des inflationsbereinigten Index sehr schnell, dass Investitionen in diesem Markt vom 1929 Niveau aus noch keine Rendite gebracht haben, bzw. bislang eine einzige Kapitalvernichtungsmechanismus war. Nur unter sehr kurzfristigen Aspekten konnte bei Investitionen im Dow inflationsbereinigt eine Rendite erzielt werden, so wie beispielsweise auch beim Nasdaq.
Elliott-Wave-Technische Einordnung
 

Vor diesem Hintergrund glaube ich, dass wir erst das Ende der Welle 3 gesehen haben oder noch drin stecken, denn solange es Volkswirtschaften gibt, die entweder einen niedrigen Verschuldungsgrad haben oder sehr hohe Wachstumsraten im BSP aufweisen können, die sich gleichfalls den Weltmärkten öffnen (Tendenz ist da), werden die globalisierenden Firmen die notwendige Ausbeutung dieser Bereiche vornehmen, um die nötigen volkswirtschaftlichen Kapitallasten tragen zu können.
Afrika ist m.E. verloren, um am wirtschaftlichen Aufschwung teilhaben zu können, das wird ausschließlich ausgebeutet. Asien, in erster Linie China, und Osteuropa sind die richtigen Kandidaten zur Stützung der westlichen Welt und Industrien. Russland mit enormen Rohstoffen, China mit enormen Produktivitätssteigerungen und Verbrauermärkten  (Wehe, die schotten sich wieder ab). Solange diese Staaten nicht unser Niveau erreicht haben, haben wir im Supercycle auch die Welle 5 noch nicht beendet (Übrigens: In dem Zusammenhang kann ich gut verstehen, wieso die Wirtschaft (Politik) sehr gerne Osteuropa in die EG bekommen möchte oder wieso die zuvor armen Staaten Südeuropas mit gutem Wachstum vor allem für die deutsche Wirtschaft gut für die EG sind).
Meine Gedanken mögen sarkastisch und kaltherzig klingen aber da wir hier in einem Börsenforum sind, möchte ich über die moralischen, sozialen und politischen Folgen nicht schreiben. Da kann sich jeder seinen Teil denken.

Als Ergänzung noch meine Meinung, wieso ich davon überzeugt bin, dass die letzte Welle nicht allzu lang wird, weil faktisch nicht möglich:
Vielen dürfte bekannt sein, dass eine 5. Welle sinngemäß ein Auswuchs ist, eine Übertreibung, bei der die zuvor zu kurz gekommenen auch noch profitieren wollen.
Unser Wirtschaftswachstum beruht gleichfalls auf Ausbeutung der natürlichen Ressourcen. Es scheint mir nicht möglich, unseren Standard als Maßstab für Rußland und China anzulegen, weil ich davon überzeugt bin, dass die Natur vorher schon nicht mehr mitspielt (Siehe Ressourcenverschwendung USA-Europa zu Lasten des eigenen Landes und der 3. Welt). Mit der Veränderung der globalen Lebensbedingungen (einseitige Kapitalausrichtung, Umweltzerstörung, moralische Fehlorientierung) werden zunehmend immer größere Bevölkerungsteile dem System entfliehen wollen, ganz zu schweigen von Bewegungen wie Fundamentalismus, die sich als nicht oder wenig korrumpierbar für die Finanzwelt erwiesen haben.
Es gibt also ganz natürliche Grenzen, und ich vermute, dass die in nicht allzu ferner Zukunft erreicht sind. Und so kommt es, dass ich bei meinen langfristigen Wellenzählungen innerhalb des 1. Quartal dieses Jahrhunderts das Ende der Welle 5 im Auge habe.


Dieter

http://www.bau-platz.de/jfo_archiv/dieter_010710.htm