Eigener Kommentar:
Auch hierbei handelt es sich
lediglich um eine "kurze" Zusammenfassung, die natürlich auch größere
Lücken aufweist. Ich hoffe, ich habe die Zusammenhänge nicht
allzu sehr "zerstückelt".
HIER
als *pdf !
Die Schatten
der Globalisierung
von Joseph Stiglitz
ISBN: 3-88680-753-3
Vorwort:
.....
Wenn Krisen auftraten, verordnete der IWF überholte,
ungeeignete » Standardlösungen «, ohne sich um die Auswirkungen
auf die Menschen in den Ländern zu scheren, die diese Vorgaben um-
setzen sollten. Nirgends sah ich Prognosen darüber, wie sich die IWF-Programme
auf die Armut auswirken würden. Nirgends entdeckte ich fundierte Diskussionen
und Analysen der Folgen alternativer Politikansätze. Es gab ein einziges
Rezept. Alternative Meinungen waren unerwünscht. Es gab kein Forum
für offene, freie Diskussion, ja, sie wurde sogar unterbunden. Ideologische
Erwägungen bestimmten die wirtschaftspolitischen Auflagen, und von
den um Beistand ersuchenden Ländern erwartete man, dass sie die Vorgaben
des IWF ohne Diskussion umsetzten.
Diese bedenkliche Einstellung brachte nicht nur
häufig dürftige Ergebnisse, sie war zudem undemokratisch. In
unserem Privatleben würden wir niemals blindlings Ideen folgen, ohne
alternative Optionen zu erwägen. Doch Staaten auf der ganzen Welt
wurden angewiesen, genau dies zu tun. Entwicklungsländer sehen sich
oftmals mit gravierenden Problemen konfrontiert und ersuchen den IWF oft
erst dann um Beistand, wenn sich die Lage in einem Land krisenhaft zuspitzt.
Doch die Medizin des IWF versagte mindestens ebenso oft, wie sie anschlug.
Die Strukturanpassungspolitik - die wirtschaftspolitischen Maßnahmen,
die einem Land helfen sollen, sich an Krisen und längerfristige Ungleichgewichte
anzupassen - führte in vielen Ländern zu Hunger und Ausschreitungen;
und selbst wenn die Folgen nicht so dramatisch. waren, selbst wenn sich
die Länder eine Zeit lang ein bescheidenes Wachstum abtrotzten, kamen
die Früchte dieser Mühen überproportional den Begüterten
in den Entwicklungsländern zugute, während es den Bedürftigen
manchmal noch schlechter ging. Verblüfft nahm ich zur Kenntnis, dass
diese Politik von vielen in der Führungsetage des IWF und der Weltbank,
die die entscheidenden Beschlüsse trafen, nicht angezweifelt wurde.
Das taten die Verantwortlichen in den Entwicklungsländern, aber viele
von ihnen hatten so große Angst, dass ihnen die Fördergelder
vom IWF und anderen gesperrt würden, dass sie ihre Zweifel, wenn überhaupt,
nur überaus vorsichtig im kleinen Kreis formulierten. Aber während
niemand über das Ungemach glücklich war, das die Umsetzung der
Programme des IWF bedeutete, setzte der Währungsfonds einfach voraus,
dass dieses Ungemach von diesen Ländern als notwendiges Übel
angesehen werden müsse auf dem Weg, eine erfolgreiche Marktwirtschaft
zu werden.
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WAS GLOBALE INSTITUTIONEN VERHEIßEN
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Der IWF ist eine öffentliche Institution,
mit Geldern finanziert, die von Steuerzahlern aus der ganzen Welt aufgebracht
werden. Das sollte man sich in Erinnerung rufen, da der IWF weder den Bürgern,
die ihn finanzieren, noch den Menschen, deren Lebensbedingungen er beeinflusst,
unmittelbar rechenschaftspflichtig ist. Vielmehr wird er von den Finanzministern
und Zentralbankpräsidenten der Mitgliedsländer überwacht.
Sie üben ihre Kontrolle durch ein kompliziertes Abstimmungsverfahren
aus, in dem das Gewicht der einzelnen Länder weitgehend von deren
wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit am Ende des Zweiten Weltkriegs
abhängt. Seither wurden einige geringfügige Änderungen vorgenommen,
doch die führenden Industriestaaten haben weiterhin das Sagen, und
nur ein Land, die Vereinigten Staaten, haben de facto ein Vetorecht. (In
dieser Hinsicht gleicht der IWF den Vereinten Nationen, wo ebenfalls ein
historischer Anachronismus darüber entscheidet, wem ein Veto- recht
zusteht - den Siegermächten des Zweiten Weltkriegs -, aber dort können
immerhin fünf Länder ihr Veto einlegen.)
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Die beiden Institutionen [Weltbank
+ IWF] hätten Ländern alternative Lösungskonzepte
für einige ihrer Entwicklungs- und Transformationsprobleme anbieten
können und so möglicherweise die demokratischen Prozesse gestärkt.
Doch beide waren lediglich Erfüllungsgehilfen des kollektiven Willens
der G 7 (der Regierungen der sieben führenden Industrienationen),
insbesondere ihrer Finanzminister, und allzu oft war eine lebendige demokratische
Debatte über alternative Strategien das Letzte, was sie wollten.
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Ungeachtet der Tatsache, dass unser Verständnis
volkswirtschaftlicher Prozesse in den letzten fünfzig Jahren enorm
zugenommen hat, und trotz der Bemühungen des IWF gibt es mehr und
schwerere Finanzkrisen. Manchen Berechnungen zufolge waren allein in den
letzten 25 Jahren fast einhundert Länder von Krisen betroffene Schlimmer
noch: Viele der wirtschaftspolitischen Auflagen des IWF, vor allem die
verfrühte Liberalisierung des Kapitalmarkts, verschärften die
Instabilität der Weltwirtschaft. Und sobald ein Land in einer Krise
steckte, haben die Finanzspritzen und Programme des IWF die Lage nicht
nur destabilisiert, sondern in vielen Fällen sogar noch verschlimmert,
insbesondere für die Armen. Der IWF hat nicht nur seinen ursprünglichen
Auftrag verfehlt, die internationalen Finanzbeziehungen zu stabilisieren,
sondern war auch in den neuen ihm übertragenen Aufgaben nicht erfolgreich,
wie etwa der Förderung der Marktwirtschaft in ehemals planwirtschaftlich
gelenkten Ländern.
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Die Probleme des IWF und der anderen internationalen
Wirtschaftsinstitutionen lassen sich alle mit einem Wort umreißen:
governance
— der Frage also, wer die Entscheidungen trifft und warum. Die Institutionen
werden nicht einfach von den reichsten Industriestaaten beherrscht, sondern
insbesondere von Sonderinteressen der Handels- und Finanzwelt in diesen
Ländern, und die Politik dieser Institutionen spiegelt diesen Sachverhalt
natürlich wider. Das Auswahlverfahren für die obersten Entscheidungsträger
der Institutionen verdeutlicht deren Problem, und es hat allzu oft zu ihrem
Misserfolg beigetragen. Während IWF und Weltbank heute fast ausschließlich
in der Dritten Welt aktiv sind (und das gilt insbesondere für ihre
Kreditvergabe), werden sie von Vertretern der Industrieländer geleitet.
(Gemäß einer Gepflogenheit beziehungsweise einer stillschweigenden
Absprache ist der geschäftsführende Direktor des IWF immer ein
Europäer, der Präsident der Weltbank dagegen immer ein Amerikaner.)
Diese werden hinter verschlossenen Türen gewählt, und von den
Kandidaten für diese Positionen wurde noch nie erwartet, dasssie praktische
Erfahrungen in der Dritten Welt gesammelt hatten. Die Nationen, denen diese
Institutionen dienen sollen, sind somit in ihren Leitungsorganen nicht
angemessen vertreten. Für die Kleinbauern in Entwicklungsländern,
die sich abmühen, die Schulden ihrer Länder beim IWF zurückzuzahlen,
oder die Geschäftsleute in Ecuador, die aufgrund der Forderungen des
IWF mit höheren Mehrwertsteuern belastet werden, ist das gegenwärtige
System des IWF eines der » Besteuerung ohne Vertretung" (taxation
without representation). Die Erbitterung über das internationale Regime
der Globalisierung unter Leitung des IWF wächst, wenn den Armen in
Indonesien, Marokko oder Papua-Neuguinea Brennstoff- und Nahrungsmittel-Subventionen
gestrichen werden, wenn die Menschen in Thailand erleben, dass aufgrund
der vom IWF erzwungenen Ausgabenkürzungen im Gesundheitswesen immer
mehr Menschen an AIDS sterben, und wenn Familien in Entwicklungsländern,
die für den Schulbesuch ihrer Kinder im Rahmen so genannter »Kostendeckungs«-Programme
Gebühren entrichten müssen, die schmerzliche Entscheidung treffen,
ihre Töchter nicht zur Schule zu schicken. Wenn Menschen keine Alternative
haben, wenn sie ihre Nöte nicht artikulieren können und sich
völlig ohnmächtig fühlen, rotten sie sich zusammen und randalieren.
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GEBROCHENEN VERSPRECHEN
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Diese beiden Institutionen, die in der Öffentlichkeit
oft miteinander verwechselt werden, weisen markante Gegensätze auf
in Kultur, Stil und Auftrag: Die eine widmet sich der Armutsbekämpfung,
die andere der Wahrung der weltwirtschaftlichen Stabilität. Die eine
entsendet Teams von Wirtschaftswissenschaftlern, die längere Zeit
in dem Gastland leben, die andere schickt ihre Mitarbeiter auf dreiwöchige
Stippvisiten, auf denen sie in Finanzministerien und Zentralbanken über
Zahlen brüten und es sich ansonsten in Fünf-Sterne-Hotels bequem
machen. Dieser Unterschied ist mehr als symbolischer Natur: Man kann ein
Land nur dann kennen und lieben lernen, wenn man buchstäblich aufs
Land geht. Arbeitslosigkeit ist keine ökonomisch-statistische »nackte
Zahl«, die gleichsam den Kollateralschaden des Kampfs gegen Inflation
oder des Bemühens, die Kredite westlicher Banken zurückzuzahlen,
quantifiziert. Die Arbeitslosen sind Menschen mit Familien, deren Leben
von der Wirtschaftspolitik beeinflusst und manchmal vernichtet wird, die
ausländische Institutionen empfehlen beziehungsweise der IWF faktisch
aufoktroyiert. Die moderne High-Tech-Kriegführung ist darauf ausgerichtet,
physischen Kontakt zum Feind zu vermeiden: Wenn man Bomben aus einer Höhe
von 10000 Metern abwirft, »spürt« man nicht, was man tut.
Bei der modernen Wirtschaftssteuerung verhält es sich ganz ähnlich:
Von seinem Luxushotel aus kann man gefühllos Konditionen auferlegen,
über die man zweimal nachdächte, würde man die Menschen
kennen, deren Leben man zerstört.
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Äthiopien und der Kampf zwischen Machtpolitik
und Armut
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Ich hatte eine Unterredung mit Ministerpräsident
Meles Zenawi, einem Mann, der einen 17-jährigen Guerillakrieg gegen
das blutige marxistische Regime von Mengistu Haile Mariam geführt
hatte. Zenawis Truppen siegten 1991, und anschließend begann die
Regierung mit der harten Arbeit, das Land wiederaufzubauen. Zenawi hatte
zunächst Medizin und später Wirtschaftswissenschaften an der
Open University in England studiert, weil er wusste, dass das einheimische
Wirtschaftssystem grundlegend verändert werden musste, wenn das Land
seine jahrhundertelange Armut überwinden wollte, und er zeigte ein
Wissen, ja eine Kreativität in ökonomischen Fragen, die all meine
Studenten beschämt hätte. Er verstand die wirtschaftlichen Zusammenhänge
und die besonderen Gegebenheiten in seinem Land viel besser als die Mitarbeiter
internationaler Wirtschaftsinstitutionen, die sich mit Äthiopien befassten
und mit denen ich in den folgenden drei Jahren zu tun hatte.
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Er und seine Minister bemühten sich grundsätzlich
um eine Dezentralisierung, um so den Staat näher an die Menschen heranzubringen
und sicherzustellen, dass das Zentrum nicht den Kontakt zu den verschiedenen
Regionen verlor. Die neue Verfassung gab sogar jeder Region das Recht,
sich nach einem demokratischen Abstimmungsverfahren abzuspalten. Dies stellte
sicher, dass die politischen Eliten in der Hauptstadt, wer immer sie auch
waren, es sich nicht erlauben konnten, die Sorgen der einfachen Bürger
in den verschiedenen Landesteilen zu ignorieren, und dass keine einzelne
Region dem Rest des Landes seine Ansichten aufzwingen konnte. Als Eritrea
1993 seine Unabhängigkeit erklärte, bewies die Regierung ihre
Prinzipienfestigkeit.
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Aus verständlichen Gründen gewähren
Weltbank und IWF nur solchen Ländern Kredite, die gute makroökonomische
Rahmenbedingungen aufweisen.
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Dies traf auf Äthiopien zu, und zudem hatte
die Weltbank direkte Belege für die Kompetenz der Regierung und ihr
Engagement für die Armen. Äthiopien hatte eine Entwicklungsstrategie
für seine ländlichen Regionen erarbeitet, die sich auf die Armen
und vor allem jene 85 Prozent der Bevölkerung konzentrierte, die im
landwirtschaftlichen Sektor erwerbstätig waren. Die Regierung hatte
die Militärausgaben drastisch gekürzt - obwohl sie selbst mit
militärischen Mitteln an die Macht gelangt war -, weil sie wusste,
dass Gelder, die für Waffenkäufe verwendet wurden, nicht für
die Bekämpfung der Armut zur Verfügung standen.
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Die äthiopische Regierung hatte zwei Einnahmequellen
- Steuern und Auslandshilfe. Der Haushalt eines Staates ist so lange ausgeglichen,
wie die Einnahmen gleich den Ausgaben sind. Wie viele andere Entwicklungsländer
bezieht auch Äthiopien einen Großteil seiner Einnahmen aus der
Auslandshilfe. Der IWF war in Sorge, dass Äthiopien in Schwierigkeiten
käme, wenn diese Quelle einmal versiegte. Daher argumentierte er,
Äthiopiens Haushaltslage könne nur dann als solide beurteilt
werden, wenn die Ausgaben auf das Steueraufkommen begrenzt würden.
Die Logik des IWF führt zu der problematischen Folgerung, dass kein
Land die Auslandshilfe, die es bekommt, in Entwicklungsprojekte investieren
dürfte. Wenn etwa Schweden Äthiopien Gelder für den Bau
von Schulen zukommen ließe, würde diese Logik Äthiopien
dazu zwingen, mit dem Geld seine Währungsreserven aufzustocken.
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Meles Zenawi formulierte es eindringlicher: Er
sagte mir, er hätte nicht 17 Jahre so hart gekämpft, um sich
von einem internationalen Bürokraten sagen lassen zu müssen,
er dürfe keine Schulen und Kliniken für sein Volk bauen, nachdem
er endlich internationale Geldgeber dafür gewonnen hatte.
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Äthiopien hatte einen amerikanischen Bankkredit
mit einem Teil seiner Währungsreserven vorzeitig zurückgezahlt.
Die Transaktion war ökonomisch absolut sinnvoll.
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Doch die Vereinigten Staaten und der IWF lehnten
eine vorzeitige Rückzahlung ab. Sie beanstandeten nicht die Logik
der Strategie, sondern die Tatsache, dass Äthiopien ohne vorherige
Zustimmung des IWF aktiv geworden war. Doch weshalb sollte ein souveränes
Land für jede Initiative die Erlaubnis des IWF einholen? Dies wäre
verständlich gewesen, wenn der Schritt Äthiopiens seine Fähigkeit
zur Tilgung der IWF-Kredite beeinträchtigt hätte; doch genau
das Gegenteil war der Fall, da es eine sinnvolle finanzielle Entscheidung
für die Solvenz des Landes war.
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Das gesamte Bankensystem Äthiopiens (gemessen
beispielsweise am Wert sei- ner Aktiva) ist etwas kleiner als das von Bethesda,
Maryland, einem Vorort von Washington mit etwa 55000 Einwohnern. Der IWF
verlangte, dass Äthiopien nicht nur seine Finanzmärkte für
die westliche Konkurrenz öffnen, sondern auch seine größte
Bank in mehrere Teile zerschlagen sollte. In einer Welt, in der gewaltige
amerikanische Finanzkonzerne wie Citybank und Travelers oder Manufactures
Hanover und Chemical erklären, sie müssten fusionieren, um im
Wettbewerb bestehen zu können, hat eine Bank von der Größe
der North East Bethesda-Sparkasse keine Chance, sich gegen einen globalen
Giganten wie Citibank zu behaupten.
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Äthiopien widerstand aus gutem Grund der
Forderung des IWF, sein Bankensystem zu » öffnen «. Die
Regierung hatte gesehen, was geschehen war, als eines der ostafrikanischen
Nachbarländer den Forderungen des IWF nachgekommen war. In dem festen
Glauben, der Wettbewerb zwischen den Banken würde Zinssenkungen auslösen,
hatte der IWF darauf bestanden, dass das Land seinen Finanzmarkt »liberalisiert«.
Das Ergebnis war katastrophal: Die Zinsen stiegen, und Landwirte, die immer
stark von Krediten abhängig sind, wurden schwer getroffen.
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Als die Äthiopier den Forderungen des IWF
nicht nachkamen, behauptete dieser, die Regierung meine es mit ihren Reformen
nicht ernst, und setzte sein Hilfsprogramm aus.
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Die scharfe Kontroverse über die Vergabe
von Krediten an Äthiopien öffnete mir die Augen über die
Arbeitsweise des IWF. Es gab eindeutige Beweise dafür, dass sich der
IWF bezüglich der Liberalisierung des Finanzmarkts und der gesamtwirtschaftlichen
Lage in Äthiopien irrte, dennoch mussten die Ökonomen des IWF
ihren Willen durchsetzen.
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Da die Entscheidungsfindung beim IWF größtenteils
hinter verschlosseiien Türen abläuft - die gerade angeschnittenen
Fragen wurden praktisch nicht öffentlich diskutiert -, nährt
er den Verdacht, dass Machtpolitik, Sonderinteressen oder andere geheime
Gründe, die nichts mit seinem Mandat und seinen expliziten Zielen
zu tun haben, seine institutionelle Politik und Handlungsweise beeinflussen.
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Es gibt Alternativen zu den IWF-Programmen, die
der Bevölkerung ein vertretbares Maß an Opfern abverlangen und
die ohne marktwirtschaftlichen Fundamentalismus positive Ergebnisse erzielten.
Ein gutes Beispiel ist das 3700 Kilometer südlich von Äthiopien
gelegene Botsuana, ein kleines Land mit 1,5 Millionen Einwohnern, das seit
seiner Unabhängigkeit eine stabile Demokratie ist.
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Botsuanas Erfolg basierte auf seiner Fähigkeit,
einen politischen Konsens zu wahren, der auf einem breiten Willen zu nationaler
Einheit fußte. Dieser politische Konsens, der notwendig ist für
jeden tragfähigen Gesellschaftsvertrag zwischen Regierung und Regierten,
war von der Regierung gemeinsam mit ausländischen Beratern, von denen
viele im Auftrag der Ford Foundation tätig waren, sorgfältig
erarbeitet worden.
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Als Botsuana vor zwanzig Jahren eine Wirtschaftskrise
durchmachte, geriet dieser grundlegende Konsens in Gefahr. Eine Dürre
bedrohte die Existenzgrundlage der vielen Menschen, die sich in der Viehzucht
verdingten, und Probleme in der Diamantenindustrie hatten den Staatshaushalt
und seine Devisenschätze schwer belastet.
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Im Fall von Botsuana verschrieb der IWF seine
übliche Medizin und riet Botsuana, seine Währungsreserven nicht
anzutasten. Die Regierung und die Berater des Landes hielten diese Empfehlung
für falsch. Wegen der Schwankungsanfälligkeit der beiden Hauptsektoren,
Viehzucht und Diamanten, hatte die Regierung klugerweise einen Notgroschen
für schlechte Zeiten wie diese auf die hohe Kante gelegt. War es nicht
sinnvoll, diese Ersparnisse jetzt in Anspruch zu nehmen? Offenkundig verkannte
der IWF nicht nur den Stellenwert eines breiten gesellschaftlichen Konsenses,
sondern auch die Funktion von Währungsreserven! Zum Glück lehnte
die Regierung die "Hilfe" und den Rat des IWF ab. Sie war nicht bereit,
die hart errungene soziale und politische Stabilität für den
unsicheren Nutzen der IWF-Mittel aufs Spiel zu setzen. Botsuana schnallte
den Gürtel enger - wobei jeder sein Scherflein beisteuerte - und überwand
so die Krise, wenn auch unter größeren Entbehrungen, als es
der Fall gewesen wäre, wenn der IWF seine Hilfe zu tragbareren Konditionen
an- geboten hätte. Seither hat sich Botsuana nicht mehr Hilfe suchend
an den IWF gewandt.
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Äthiopien und Botsuana sind typische Beispiele
für die Herausforderungen, vor denen die erfolgreicheren Länder
Afrikas heute stehen: Länder mit politischen Führern, die dem
Wohl ihrer Völker verpflichtet sind, zerbrechliche und manchmal unvollkommene
Demokratien, die sich bemühen, aus den Ruinen eines kolonialen Erbes,
das ihnen weder Institutionen noch Humankapital hinterließ, bessere
Lebensverhältnisse für ihre Menschen zu schaffen. Die beiden
Länder sind auch typisch für die Gegensätze, die die Dritte
Welt kennzeichnen: Gegensätze zwischen Erfolg und Misserfolg, Reich
und Arm, Hoffnungen und Wirklichkeit, zwischen dem, was ist, und dem, was
sein könnte.
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Ich erlebte diesen Gegensatz, als ich Ende der
sechziger Jahre zum ersten Mal nach Kenia kam. Kenia ist ein reiches und
fruchtbares Land, und einige der wertvollsten Ländereien sind noch
immer im Besitz alter Siedler aus der Kolonialzeit. Während England
den Kenianern das Land weggenommen hatte, hatte es ihnen im Gegenzug nicht
viel gegeben. Als ich eintraf, waren die ehemaligen Kolonialbeamten noch
immer im Land; jetzt wurden sie Berater genannt, doch oftmals liefen die
Fäden der Staatsverwaltung nach wie vor in ihren Händen zusammen.
In Kenia und in anderen ehemaligen Kolonien hatten die Kolonialmächte
die einheimischen Völker nicht darauf vorbereitet, die Leitung der
Staatsgeschäfte selbst zu übernehmen.
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Allzu oft hat sich der IWF gegenüber den Entwicklungsländern
wie ein kleiner Kolonialherrscher aufgeführt. Ein Foto kann mehr sagen
als tausend Worte, und ein einziges Bild, das 1998 aufgenommen und auf
der ganzen Welt verbreitet wurde, hat sich in das Bewusstsein von Millionen
eingeprägt, vor allem in den ehemaligen Kolonien. Der geschäftsführende
Direktor des IWF Michael Camdessus, ein kleiner, elegant gekleideter vormaliger
Beamter des französischen Finanzministeriums, der einst behauptet
hatte, Sozialist zu sein, steht mit strenger Miene und gekreuzten Armen
hinter dem sitzenden und gedemütigten indonesischen Präsidenten.
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Folgendes Bild habe ich
dazu gefunden:
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Der glücklose Präsident wird faktisch
dazu gezwungen, als Gegenleistung für Finanzhilfen, die sein Land
dringend braucht, die wirtschaftspolitische Souveränität über
sein Land an den IWF abzutreten. Die Ironie wollte es, dass ein Großteil
der Gelder letztlich nicht Indonesien zugute kam, sondern dazu diente,
die Forderungen privater Kreditgeber aus den "Kolonialmächten" zu
befriedigen. (Offiziell handelte es sich bei der "Zeremonie" um die Unterzeichnung
einer "einvernehmlichen" Absichtserklärung, die faktisch vom Fonds
diktiert wurde, obgleich die Verantwortlichen des IWF oftmals die Fiktion
aufrechterhalten, die Absichtserklärung stamme von der Regierung des
Landes!)
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Die Einstellung des IWF und seines Vorsitzenden
waren klar: Die Institution war der Born der Weisheit, der die "rechte
Lehre" kundtat, welche das Begriffsvermögen der Menschen in der Dritten
Welt einfach überstieg.
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Natürlich tut der IWF so, als würde er
die Bedingungen jeder Kreditvereinbarung mit einem Schuldnerland nicht
diktieren, sondern aushandeln. Aber es sind einseitige Verhandlungen, in
denen die gesamte Verhandlungsmacht beim IWF liegt, vor allem, weil viele
Länder, die den IWF um Hilfe ersuchen, dringend Finanzmittel benötigen.
Obgleich ich dies in Äthiopien und den anderen Entwicklungsländern,
mit denen ich zu tun hatte, deutlich gesehen hatte, wurde es mir bei meinem
Besuch in Südkorea im Dezember 19971 zu Beginn der Asienkrise, noch
einmal eindringlich vor Augen geführt. Die südkoreanischen Volkswirte
wussten, dass die Maßnahmen, die der IWF ihrem Land aufdrängte,
verheerende Folgen haben würden.
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Koreanische Beamte erklärten mir widerstrebend,
sie hätten es nicht gewagt, offen zu widersprechen. Denn der IWF könne
nicht nur seine eigenen Mittel abdrehen, sondern seinen enormen Einfluss
auch dafür geltend machen, Anlagen privater Investmentfonds zu unterbinden,
indem er Finanzinstituten des privaten Sektors seine Zweifel an der wirtschaftspolitischen
Solidität Koreas mitteilte. Folglich hatte Korea keine Wahl. Folglich
hatte Korea keine Wahl.
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Länder erhalten strikte Zielvorgaben - was
in 30,60 und 90 Tagen erreicht sein soll. In einigen Fällen legten
die Abkommen fest, was für Gesetze das Parlament des Landes verabschieden
müsste, um die Anforderungen beziehungsweise "Zielvorgaben" des Landes
zu erfüllen, und wann.
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Die Konditionen gehen über ökonomische
Auflagen im engeren Sinne hinaus und berühren alle möglichen
Politikfelder. Im Falle Koreas beispielsweise enthielt das Kreditabkommen
eine Klausel, die eine Änderung des Zentralbankgesetzes forderte,
damit die Zentralbank unabhängiger von politischer Einflussnahme,
würde, obgleich kaum etwas dafür spricht, dass Länder mit
unabhängigeren Zentralbanken höhere Wachstumsraten erzielen oder
weniger ausgeprägte Konjunkturschwankungen haben.
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So wurde die koreanische Zentralbank mitten in
der Korea-Krise dazu aufgefordert, sich aus- schließlich auf die
Inflation zu konzentrieren, obgleich Korea keine bedenklich hohe Inflation
hatte, und es gab keinen Grund zu der Annahme, eine schlechte Geldpolitik
hätte zu der Krise beigetragen. Der IWF nutzte einfach die zusätzliche
Macht, die ihm die Krise gab, um seine politischen Ziele durchzusetzen.
Als ich das IWF-Team in Seoul fragte, warum es dies täte, bekam ich
eine Antwort, die mich bestürzte (auch wenn ich es eigentlich hätte
wissen können): Wir fordern immer eine unabhängige Zentralbank,
die sich auf Inflationsbekämpfung konzentriert. Dies war eine Frage,
zu der ich eine entschiedene Ansicht besaß. Als ich volkswirtschaftlicher
Chefberater des US-Präsidenten war, wehrten wir den Versuch von Senator
Connie Mack aus Florida ab, die Satzung der US-Zentralbank zu ändern
und sie dazu zu verpflichten, sich ausschließlich der Inflationsbekämpfung
zu widmen. Die Fed, die amerikanische Zentralbank, soll gemäß
ihrem gesetzlichen Auftrag bei ihren geldpolitischen Entscheidungen nicht
nur die Inflation, sondern auch den Beschäftigungsstand und das Wachstum
berücksichtigen. Der Präsident war gegen die Satzungsänderung,
und wir wussten, dass die Amerikaner der Ansicht waren, dass sich die Fed
sowieso schon zu sehr auf die Inflation konzentriere. Der Präsident
machte klar, dass dies eine Frage war, in der er nicht nachgeben würde,
woraufhin die Befürworter einer Satzungsänderung einen Rückzieher
machten. Dennoch erlegte der IWF - vor allem auf Druck des US-Finanzministeriums
- Korea eine wirtschaftspolitische Kondition auf, die die meisten Amerikaner
in ihrem Land abgelehnt hätten.
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So ritt den IWF selbst dann die Inflationsparanoia,
als die Vereinigten Staaten die niedrigsten Inflationsraten seit Jahren
verzeichneten. Seine Empfehlung war vorhersehbar: die Zinsen erhöhen,
um die Wirtschaft zu drosseln.
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Die Vereinigten Staaten setzten sich über
den Rat des IWF hinweg. Weder die Regierung Clinton noch die Federal Reserve
gaben viel darauf. Die Vereinigten Staaten konnten dies ungestraft tun,
weil sie nicht auf die Unterstützung des IWF oder an- derer Geldgeber
angewiesen waren, und wir wussten, dass sich der Markt so wenig um die
Empfehlungen scheren würde wie wir. Der Markt würde uns nicht
dafür bestrafen, dass wir den Rat ignorierten, und uns nicht dafür
belohnen, dass wir ihn befolgten. Doch arme Länder rund um die Erde
sind nicht in einer so glücklichen Lage. Sie ignorieren die Empfehlungen
des IWF zum eigenen Schaden.
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FREIHEIT DER WAHL ?
Wenn man einem Papagei den Spruch »fiskalische
Austerität, Privatisierung und Marktöffnung« beigebracht
hätte, dann hätte man in den achtziger und neunziger Jahren auf
den Rat des IWF verzichten können. Denn dies waren seine drei Säulen
der Empfehlungen nach dem »Washington Consensus«. Bei der »Bewertung«
der Erfolgsbilanz des IWF sollten wir uns klar machen, dass diese Empfehlungen,
sofern sie sachgerecht umgesetzt werden, sehr nützlich sind.
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Das Problem an dem »Washington Consensus«
besteht darin, dass der IWF diese wirtschaftspolitischen Leitlinien als
Selbstzweck betrachtet statt als Mittel zu einem gerechter verteilten und
nachhaltigeren Wachstum. Dadurch erhalten diese Leitlinien im Vergleich
zu anderen politischen Maßnahmen, die ebenfalls nötig gewesen
wären, ein viel zu großes Gewicht.
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Die erfolgreichsten Entwicklungsländer, diejenigen
in Ostasien, öffneten sich der Außenwelt langsam und wohl geordnet.
Diese Länder nutzten die Globalisierung, um ihre Exporte zu steigern
und dadurch ihr Wachstum zu beschleunigen. Aber sie bauten ihre "Schutzzäune"
umsichtig und systematisch nur in dem Maße ab, wie neue Arbeitsplätze
entstanden. Sie sorgten dafür, dass Kapital für die Schaffung
neuer Arbeitsplätze und die Gründung neuer Unternehmen zur Verfügung
steht, und sie übernahmen sogar eine unternehmerische Rolle bei der
Förderung neuer Unternehmen. China ist gerade dabei, seine Handelsschranken
ab- zubauen, zwanzig Jahre, nachdem es seinen Weg in die Marktwirtschaft
angetreten hat und in denen seine Wirtschaft extrem schnell gewachsen ist.
Jamaika, dem man eine allzu schnelle Liberalisierung aufnötigte, wurde
1992. durch subventionierte Billigmilch aus den Vereinigten Staaten überschwemmt,
mit der Folge, dass viele der einheimischen Milchbauern ihren Markt verloren.
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Diejenigen im Westen, die mit der WTO die Handelsliberalisierung
vorantrieben, haben gleichzeitig weiterhin jene binnenwirtschaftlichen
Sektoren abgeschirmt, die durch die Konkurrenz aus Entwicklungsländern
bedroht werden könnten. Tatsächlich war dies einer der Hauptgründe
für den Widerstand gegen eine neue Handelsrunde, die eigentlich in
Seattle beginnen sollte: Frühere Handelsrunden hatten die Interessen
der entwickelten Industrienationen - beziehungsweise, um genauer zu sein.
Sonderinteressen innerhalb dieser Länder - geschützt, ohne dass
damit Vorteile für die weniger entwickelten Länder einhergegangen
wären. Die Demonstranten wiesen zu Recht darauf hin, dass bei früheren
Handelsrunden die Handelsschranken für Industriegüter, von Kraftfahrzeugen
bis zu Maschinen, aus entwickelten Industriestaaten gesenkt wurden. Gleichzeitig
zeigten die Unterhändler dieser Länder keinerlei Bereitschaft,
ihre Subventionen für heimische Agrarprodukte abzubauen; sie schotteten
die Märkte für diese Produkte und für Textilien ab, obwohl
viele Entwicklungsländer hier im komparativen Vorteil sind.
Die jüngste Uruguay-Handelsrunde befasste
sich erstmals mit dem Thema des freien Dienstleistungsverkehrs. Letztlich
wurden die Märkte jedoch überwiegend für die Dienstleistungen
der höchstentwickelten Länder geöffnet - Finanzdienstleistungen
und Informationstechnologie -, nicht aber für den Gütertransport
auf See und Baudienstleistungen, wo die Entwicklungsländer einen Fuß
in die Tür hätten bekommen können. Die Vereinigten Staaten
rühmten sich der Vorteile, die ihnen das Abkommen ein- bringe. Die
Entwicklungsländer dagegen erhielten kein angemessenes Stück
vom Kuchen. Nach einer Berechnung der Weltbank wird das Einkommen der afrikanischen
Staaten südlich der Sahara, der ärmsten Region der Welt, aufgrund
des Handelsabkommens um mehr als zwei Prozent sinken. Es gibt weitere Beispiele
für Ungerechtigkeiten, die in der Dritten Welt immer stärker
in die öffentliche Diskussion gelangen, auch wenn sie in den Industrieländern
nur selten Schlagzeilen machen. Länder wie Bolivien haben ihre Handelsschranken
nicht nur stärker abgebaut als die Vereinigten Staaten, sondern sie
kooperieren mit den USA auch bei der Ausmerzung des Koka-Anbaus, der Kokain
liefert, obwohl diese Feldfrucht den armen Bauern ein höheres Einkommen
verschafft als alle anderen Alternativen. Die Vereinigten Staaten halten
ihre Märkte jedoch für alternative Agrarprodukte, wie etwa Zucker,
verschlossen, die die bolivianischen Landwirte für den Export anbauen
könnten, sofern sie einen Absatzmarkt dafür hätten.
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Das Ganze wird noch schlimmer, wenn die Vereinigten
Staaten einseitig handeln und sich nicht hinter dem Deckmantel des IWF
verstecken.
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Die Rhetorik, mit der die US-Regierung ihrer Position
Nachdruck verleiht, festigt das Bild von einer Supermacht, die bereit ist,
sich für ihre Sonderinteressen stark zu machen. Mickey Kantor, der
US-Handelsbeauftragte in der ersten Clinton-Regierung, wollte, dass China
seine Märkte schneller öffnet.
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Die Weltbank - und jeder Volkswirt - betrachtet
China mit seinem Pro-Kopf-Einkommen von 450 Dollar nicht nur als ein Entwicklungsland,
sondern zudem als ein Entwicklungsland mit niedrigem Einkommen. Doch solche
Tatsachen ließen einen hartgesottenen Unterhändler wie Kantor
ziemlich kalt. Er bestand darauf, dass China ein Industrieland sei und
aus diesem Grund nur eine kurze Anpassungsperiode zugestanden bekommen
sollte.
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Ironischerweise haben die USA, die doch darauf
bestanden, dass sich China als »Industrieland« schnell anpassen
solle - und weil China die sich in die Länge ziehende Verhandlungszeit
gut nutzte, konnte es diese Forderungen auch erfüllen -, für
sich selbst beansprucht, so behandelt zu werden, als wären sie ein
Entwicklungsland: Sie begnügten sich nicht mit der zehnjährigen
Ubergangsfrist für den Abbau ihrer Handelsschranken gegen Textilimporte,
die Teil der Verhandlungen von 1994 gewesen waren, sondern forderten weitere
vier Jahre.
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Die amerikanische Forderung nach einer Liberalisierung
der Finanzmärkte in China diente nicht der Stabilität der Weltwirtschaft,
sondern den beschränkten Interessen der amerikanischen Finanzwelt,
die das Ministerium mit Nachdruck vertrat.
.....
So negativ eine vorzeitige und schlecht geplante
Handelsliberalisierung für die Entwicklungsländer auch war, die
Öffnung des Kapitalmarktes hatte in vielerlei Hinsicht noch negativere
Folgen. Die Liberalisierung des Kapitalmarkts geht mit der Beseitigung
von Regulierungen einher, die spekulative Finanzströme (hot money)
in einem Land steuern sollen - das sind kurzfristige Kredite und Kontrakte,
die in der Regel nichts als riskante Wetten darauf sind, dass sich die
Wechselkurse erholen werden.
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Um die mit diesen volatilen Kapitalbewegungen
verknüpften Risiken zu kontrollieren, wird allen Ländern routinemäßig
empfohlen, von ihren Währungsreserven einen Teil beiseite zu legen,
der ihren kurzfristigen, auf ausländische Währungen lautenden
Krediten entspricht. Um zu verstehen, was dies bedeutet, wollen wir annehmen,
dass eine Firma in einem kleinen Entwicklungsland einen kurzfristigen Kredit
über 100 Millionen Dollar zu einem Zins von 18 Prozent bei einer amerikanischen
Bank aufnimmt. Wenn das Land eine umsichtige Politik betreiben wollte,
müsste es seine Währungsreserven um 100 Millionen Dollar aufstocken.
Im Allgemeinen werden Währungsreserven in Form US-amerikanischer Schatzwechsel
gehalten, die gegenwärtig etwa vier Prozent Zinsen abwerfen. Das Land
nimmt also in den USA einen Kredit zu 18 Prozent auf und gewährt den
USA gleichzeitig einen Kredit zu vier Prozent. Dem Land als Ganzes stehen
somit keine Ressourcen mehr für Investitionen zur Verfügung.
Amerikanische Banken machen einen stattlichen Gewinn, und die USA insgesamt
kassieren jährlich 14 Millionen Dollar an Zinsen. Aber es ist schwer
zu ersehen, wie dies dem Entwicklungsland ermöglichen soll, sein Wachstum
anzukurbeln. Anders gesagt, es ist offenkundig sinnlos.
.....
Die Rolle von Auslandsinvestitionen
Wenngleich Auslandsinvestitionen nicht zu den drei
Eckpfeilern des »Washington Consensus« gehören, sind sie
ein Schlüsselelement der neuen Globalisierung. Gemäß dem
»Washington Consensus« entsteht Wachstum durch Liberalisierung,
die Märkte »entfesseln« soll, und Privatisierung. Liberalisierung
und gesamtwirtschaftliche Stabilität sollen ein Klima schaffen, das
Investitionen auch aus dem Ausland anlockt.
.....
Das Finanzgewerbe ist jedoch nicht das einzige
Feld, auf dem ausländische Direktinvestitionen eine zweischneidige
Sache sind. In einigen Fällen brachten neue Investoren (oft mit Hilfe
von Schmiergeldern) Regierungen dazu, ihnen spezielle Vergünstigungen
wie Zollschutz zu gewähren. In vielen Fällen warfen die Regierungen
der USA, Frankreichs oder einer anderen entwickelten Industrienation ihr
Gewicht in die Waagschale - und verstärkten damit die Sichtweise innerhalb
der Entwicklungsländer, dass es völlig in Ordnung sei, wenn sich
Regierungen einschalteten und Zahlungen aus der Privatwirtschaft annahmen.
.....
In anderen Fällen wurde eine Regierung eingeschaltet,
um das Gewicht einer anderen auszugleichen. In der Elfenbeinküste
beispielweise unterstützte die französische Regierung das Bestreben
von France Telecom, sich gegen die Konkurrenz einer unabhängigen (amerikanischen)
Mobilfunkgesellschaft abzuschirmen, während sich die US-Regierung
hinter die Forderungen der amerikanischen Firma stellte.
.....
In Argentinien schaltete sich die französische
Regierung ein, um eine Änderung der Konzessionsbedingungen für
einen Wasserversorger (Aguas Argentinas) zu erreichen, nachdem die französische
Muttergesellschaft (Suez Lyonnaise), die die Verträge unterzeichnet
hatte, festgestellt hatte, dass sie nicht so profitabel waren, wie sie
ursprünglich gedacht hatte.
Am empörendsten aber ist, dass Regierungen
einschließlich der US-Regierung andere Regierungen zwingen, Abkommen
zu erfüllen, die Entwicklungsländer eklatant benachteiligen und
oftmals von korrupten Regierungen unterzeichnet worden sind. Auf der APEC-Konferenz,
die 1994 in Jakarta stattfand, ermunterte Präsident Clinton amerikanische
Firmen dazu, sich in Indonesien zu engagieren. Viele taten es, und oftmals
zu äußerst günstigen Bedingungen (mit Andeutungen, dass
Bestechung »die Dinge erleichtern" würde - zum Nachteil des
indonesischen Volks). In ähnlicher Weise förderte die Weltbank
in Indonesien und anderen Ländern wie Pakistan Verträge mit privaten
Energieversorgern. Diese Verträge verpflichteten die öffentliche
Hand, große Mengen Strom zu sehr hohen Preisen abzunehmen (so genannte
Langzeitlieferklauseln mit unbedingter Zahlungsverpflichtung). Der private
Sektor strich die Gewinne ein, und der Staat trug die Risiken. Genau für
diese Form von privatwirtschaftlichen Aktivitäten machten sich das
US-Finanzministerium und die Weltbank stark. Das ist schon schlimm genug.
Doch als die korrupten Regierungen gestürzt wurden (Suharto 1998 in
Indonesien und Nawaz Sharif 1999 in Pakistan), setzte die US-Administration
die neuen Regierungen unter Druck, die Verträge zu erfüllen,
statt sie von ihren Zahlungsverpflichtungen zu entbinden oder wenigstens
die Vertragsbedingungen neu zu verhandeln. Tatsächlich gibt es eine
lange Liste "unfairer" Verträge, deren Erfüllung westliche Regierungen
durch Druck erreichten.
.....
Die zeit- und sachgerechte Koordinierung der
Policy-Empfehlungen des IWF
.....
Viele der Fehler, die dem IWF bei der zeitlichen
Abstimmung seiner Maß- nahmen unterlaufen sind, spiegeln fundamentale
Missverständnisse volkswirtschaftlicher und politischer Prozesse wider,
denen besonders Anhänger der reinen marktwirtschaftlichen Lehre immer
wieder aufsitzen.
.....
Die wirtschaftspolitische Programmatik des »Washington
Consensus« basiert jedoch auf einem grob vereinfachenden Modell der
Marktwirtschaft, dem Gleichgewichtsmodell des voll- kommenen Wettbewerbs,
in dem Adam Smith' unsichtbare Hand perfekt funktioniert. Weil in diesem
Modell der Staat nicht benötigt wird - denn die freien, entfesselten,
»liberalen« Märkte funktionieren ja vollkommen -, werden
die wirtschaftspolitischen Leitlinien des »Washington Consensus«
gelegentlich auch als »neoliberal« oder »marktfundamentalistisch«
bezeichnet, eine Art Wiederbelebung der Laissez-faire-Politik, die im 19.
Jahrhundert in manchen Kreisen populär war.
.....
Die früher beschriebenen Fehler bei der Liberalisierung
des Handels, der Kapitalmärkte und der Privatisierung stellen sachliche
Koordinierungsfehler in großem Maßstab dar. Die Abstimmungsfehler
in kleinerem Maßstab werden in der westlichen Presse kaum beachtet.
Sie stellen die alltäglichen Tragödien der wirtschaftspolitischen
Programme des IWF dar, die die Not der Ärmsten in der Dritten Welt
noch weiter verschlimmern. So haben beispielsweise viele Länder Vertriebskommissionen
gegründet, die Agrarprodukte von Landwirten kaufen und diese im In-
und Ausland vermarkten.
.....
Mehrere westafrikanische Staaten zogen sich auf
Druck des IWF aus dem Geschäft mit Vertriebskommissionen zurück
und machten ähnliche Erfahrungen. Als die Vertriebskommission verschwand,
entstand ein Netz örtlicher Monopole, weil es sich nur wenige Bauern
leisten konnten, einen LKW zu kaufen, der ihre landwirtschaftlichen Erzeugnisse
an ferne Orte transportiert, um sie dort zu verkaufen. Kapitalmangel beschränkte
den Zugang zu diesem Markt. Da Banken weitgehend fehlten, konnten die Bauern
auch keine Kredite aufnehmen, um ein kleines Fuhrunternehmen zu gründen.
Manchmal konnten sich Bauern LKWs besorgen, die ihre Güter transportierten,
und der Markt funktionierte anfänglich; doch dann wurde dieses lukrative
Geschäft zur Domäne der örtlichen Mafia. Die - per Saldo
- positiven Effekte, die IWF und Weltbank versprochen hatten, blieben aus.
Die Staatseinnahmen sanken, den Kleinbauern ging es, wenn überhaupt,
kaum besser als zuvor, und ein paar örtliche Geschäftsleute (Mafiosi
und Politiker) füllten sich die Taschen.
Viele Vertriebskommissionen betreiben zudem eine
Politik der Einheitspreise - sie bezahlen allen Bauern den gleichen Preis,
ganz gleich, wo ihre Höfe liegen. Auch wenn diese Politik scheinbar
»fair« ist, melden Volkswirte Bedenken an, weil marktnähere
Bauern die marktferneren subventionieren müssen.
.....
Der IWF zwang ein afrikanisches Land dazu, seine
Politik der Einheitspreise aufzugeben, bevor ein ausreichen- des Straßensystem
errichtet worden war. Der Preis, den Landwirte in entlegeneren Gebieten
erhielten, fiel plötzlich deutlich geringer aus, weil sie die Beförderungskosten
tragen mussten. Infolgedessen gingen die Einkommen in einigen der ärmsten
ländlichen Regionen des Landes stark zurück, so dass es zu einer
massiven Verelendung kam.
.....
Aus diesem Grund schenkt eine erfolgreiche Entwicklung
der sozialen Stabilität große Beachtung - eine wichtige Lehre
nicht nur aus Ostasien, sondern auch aus der Geschichte Botsuanas und aus
Indonesien, wo der IWF auf der Abschaffung der Subventionen für Nahrungsmittel
und Kerosin (der Brennstoff, den die Armen zum Kochen verwenden) bestand,
während schon die Auflagenpolitik des IWF das Land noch tiefer in
die Rezession getrieben hatte. Die durch sinkende Einkommen und Löhne
und rasch ansteigende Arbeitslosigkeit ausgelösten Ausschreitungen
zerstörten das soziale Gefüge des Landes, was die anhaltende
Depression noch verschlimmerte. Die Abschaffung der Subventionen war nicht
nur schlechte Sozial-, sondern auch schlechte Wirtschaftspolitik.
.....
Die Bürokraten internationaler Organisationen,
die sich für eine rasche Liberalisierung einsetzen, glauben in vielen
Fällen an die volkswirtschaftliche Trickle-down-Theorie (Theorie vom
"Durchsickern" von Einkommens- und Wachstumseffekten von oben nach unten),
die heute wegen ihrer allgemein bekannten Schwächen weitgehend außer
Mode gekommen ist.
.....
Tatsächlich behinderten diejenigen, die fest
an »Trickle-down-Plus« glaubten, Länder bei der Bewältigung
dieser Probleme. Die übermäßig strengen "Anpassungspolitiken",
die einem Land nach dem anderen auferlegt wurden, erzwangen Abstriche im
Bildungs- und Gesundheitswesen: In Thailand nahm infolgedessen nicht nur
die weibliche Prostitution zu, sondern auch die Ausgaben für die AIDS-Bekämpfung
wurden deutlich zusammengestrichen, so dass eines der weltweit erfolgreichsten
Programme zur AIDS-Bekämpfung einen herben Rückschlag erlitt.
.....
Nicht nur das, was der IWF auf seine Tagesordnung
setzt, sondern auch, was er weglässt, ist von Bedeutung. Die Stabilisierung
steht auf der Agenda, die Schaffung von Arbeitsplätzen nicht. Die
Besteuerung und ihre negativen Auswirkungen stehen auf der Agenda, die
Bodenreform nicht. Der IWF stellte öffentliche Kredite zur Verfügung,
um die Forderungen von (privaten) Banken abzudecken, nicht aber, um das
Bildungssystem und die gesundheitliche Versorgung zu verbessern, geschweige
denn, um Arbeitnehmern zu helfen, die infolge der übergreifenden Misswirtschaft
des IWF ihre Arbeitsplätze verlieren.
.....
Ein anderer vernachlässigter Punkt ist die
Regulierung des Finanzsektors. Der IWF, der sich auf die Krisen in Lateinamerika
konzentrierte, vertrat die Auffassung, dass Krisen durch eine unbesonnene
Fiskalpolitik und eine Politik des billigen Geldes ausgelöst wurden.
Doch Krisen rund um die Welt hatten eine dritte Quelle der volkswirtschaftlichen
Instabilität offen gelegt: die unzureichende Regulierung des Finanzsektors.
Dennoch drängte der IWF auf eine Deregulierung, bis er durch die Ostasienkrise
gezwungen wurde, seinen Kurs zu ändern. Während der IWF und der
»Washington Consensus« der Bodenreform und der Regulierung
des Finanzsektors eine zu geringe Bedeutung beimaßen, haben sie der
Inflation vielfach ein zu großes Gewicht beigemessen. Natürlich
war die grassierende Inflation in Regionen wie Lateinamerika ein Problem,
das Beachtung verdiente. Doch der überzogene Stellenwert, den der
IWF der Inflation einräumte, führte zu hohen Zinsen und hohen
Wechselkursen und sorgte nicht für Wachstum, sondern für Arbeitslosigkeit.
Den Finanz- märkten mögen die niedrigen Inflationszahlen zugesagt
haben, doch die Arbeitnehmer - und alle, die von Armut betroffen waren
- waren über das niedrige Wachstum und die hohe Arbeitslosigkeit nicht
froh.
.....
Es geht vielmehr darum, inwieweit die wirtschaftspolitischen
Programme auch das Problem der Armut angehen. Die Armen sind nicht faul:
Sie arbeiten oftmals härter und länger als diejenigen, denen
es viel besser geht.
.....
Mit der Armut ist oft das Gefühl der Ohnmacht
verbunden.
.....
Und die Armen spüren eine tiefe existenzielle
Unsicherheit.
.....
Um diese Unsicherheit zu mildern - ob sie in der
Launenhaftigkeit eines ausbeuterischen Chefs oder der Launenhaftigkeit
eines Marktes besteht, über den in zunehmendem Maße internationale
Stürme hinwegfegen -, kämpfen die Arbeitnehmer für eine
größere Arbeitsplatzsicherheit. Doch so hart die Arbeitnehmer
für einen »arbeitsrechtlichen Mindestschutz« kämpften,
so hart kämpfte der IWF für die »Flexibilisierung des Arbeitsmarktes«;
dies hört sich nach einer ökonomisch sinnvollen Forderung an,
die jedoch in der Praxis nur eine euphemistische Umschreibung für
Lohnsenkungen und höhere Unsicherheit des Arbeitsplatzes ist.
.....
Der IWF hat nicht nur die Risiken seiner Entwicklungsstrategien
für die Armen, sondern auch die langfristigen sozialen und politischen
Kosten seiner wirtschaftspolitischen Empfehlungen unterschätzt, die
oftmals zum Niedergang der Mittelschicht führten und ein paar Reiche
noch reicher machten.
.....
Es gibt Alternativen zu den Entwicklungs-, Krisenbewältigungs-und
marktwirtschaftlichen Transformationsstrategien des »Washington Consensus«,
die allesamt weniger auf der Ideologie des Marktes basieren. Diese Alternativen
stützen sich zwar auf Märkte, messen jedoch auch dem Staat eine
wichtige Rolle bei. Sie erkennen die Bedeutung von Reformen an, aber diese
Reformen müssen in sach- und zeitgerechter Reihenfolge durchgeführt
werden.
.....
Es ist wichtig, in Zukunft Alternativen auszuprobieren
und auszuloten. Noch wichtiger ist es, dass die Länder in Zukunft
im Rahmen demokratischer politischer Willensbildungsprozesse für sich
selbst entscheiden. Die internationalen Wirtschaftsinstitutionen sollten
den Ländern die notwendigen Informationen für sachlich fundierte
Entscheidungen bereitstellen, einschließlich einer Bewertung der
Folgen und Risiken sämtlicher Optionen. Das Wesen der Freiheit ist
das Recht, selbstständig zu entscheiden - und die Verantwortung zu
übernehmen, die mit der Entscheidung einhergeht.
DIE OSTASIEN-KRISE
Die Währungsspekulation griff um sich und
traf Malaysia, Südkorea, die Philippinen und Indonesien, und am Ende
des Jahres drohte das, was als ein Wechselkursverfall begonnen hatte, viele
Banken, Börsen und sogar ganze Volkswirtschaften in den Abgrund zu
reißen.
.....
Da der IWF gegründet wurde, um Krisen dieser
Art zu verhindern und zu bewältigen, führte sein vielfältiges
Scheitern zu einer grundlegenden Hinterfragung seiner Rolle, und viele
Menschen in den Vereinigten Staaten und in anderen Ländern forderten
eine Revision seiner wirtschaftspolitischen Programmatik und der Institution
selbst. Tatsächlich zeigte sich im Rückblick, dass die Politik
des IWF die Abschwünge nicht nur verschlimmerte, sondern mit auslöste:
Die vorschnelle Liberalisierung der Finanz- und Kapitalmärkte war
vermutlich für sich genommen die wichtigste Ursache der verschiedenen
Krisen, auch wenn eine verfehlte Wirtschaftspolitik seitens der betroffenen
Länder selbst ebenfalls eine Rolle spielte.
.....
Wie war es möglich, so fragte ich mich, dass
diese Institutionen, wenn sie wirklich so verkommen waren, so lange so
gut funktioniert hatten? Die anderen Einschätzungen von IWF und US-Finanzministerium
ergaben für mich wenig Sinn, bis ich mich an die Debatte erinnerte,
die über das ostasiatische Wirtschafts- wunder selbst getobt hatte.
IWF und Weltbank hatten es geradezu absichtlich vermieden, die Region genauer
unter die Lupe zu nehmen, während es doch aufgrund ihres Erfolgs nahe
gelegen hätte, dort nach Lektionen für andere zu suchen. Erst
unter dem Druck der Japaner hatte die Weltbank eine Studie über das
Wirtschaftswachstum in Ostasien durchgeführt (der Abschlussbericht
trug den Titel »Das Wirtschaftswunder in Ostasien"), und auch erst
nachdem sich die Japaner bereit erklärt hatten, die Studie zu finanzieren.
Der Grund lag auf der Hand: Die Länder waren nicht nur trotz der Tatsache,
dass sie die meisten Diktate des »Washington Consensus« nicht
befolgt hatten, sondern weil sie es nicht getan hatten, erfolgreich gewesen.
.....
Eine Krise würde sich verheerend auf ihre
Volkswirtschaften und ihre Gesellschaften auswirken, und sie befürchteten,
dass die Auflagen des IWF sie davon abhalten würden, jene Maßnahmen
zu ergreifen, die ihres Erachtens die Krise abwenden könnten, während
zugleich die Maßnahmen, auf denen sie bestehen würden, ihre
Volkswirtschaften bei Ausbruch einer Krise noch stärker in Mitleidenschaft
ziehen würden. Sie hatten jedoch das Gefühl, sich dem nicht widersetzen
zu können. Sie wussten sogar, welche Maßnahmen zur Schadensbegrenzung
notwendig waren - aber sie wussten auch, dass der IWF ihnen die Rote Karte
zeigen würde, wenn sie diese Maßnahmen ergriffen, und sie fürchteten,
dass es dann zu einem massiven Abzug internationalen Kapitals kommen würde.
Letztlich war nur Malaysia mutig genug, sich dem Zorn des IWF auszusetzen;
und obgleich die Wirtschaftspolitik von Premierminister Mahathir - das
Bemühen, die Zinsen niedrig zu halten und den raschen Abfluss spekulativer
Gelder zu bremsen - von allen Seiten heftig angegriffen wurde, war der
Abschwung in Malaysia kürzer und flacher als in allen anderen Ländern
der Region.
.....
In mehreren der Krisenländer bezeichnen gewöhnliche
Menschen, aber auch Regierungsvertreter und Geschäftsleute den wirtschaftlichen
und sozialen Sturm, der über ihre Nationen hinwegfegte, schlicht als
"der IWF« - so wie man "die Pest" oder "die Weltwirtschaftskrise"
sagen würde. Die Geschichte wird in die Zeit vor und nach dem "IWF"
eingeteilt, so wie Länder, die von einem Erdbeben oder einer anderen
Naturkatastrophe verwüstet werden, von der Zeit "vor" und "nach" der
Katastrophe sprechen.
.....
Die Störungen beendeten eine fünfjährige
Phase, in der Amerika nach dem Ende des Kalten Krieges den globalen Triumphzug
der freien Marktwirtschaft angeführt hatte. In dieser Zeit konzentrierte
sich die internationale Aufmerksamkeit auf die neuen emerging markets von
Ostasien bis Lateinamerika und von Russland bis Indien.
.....
Internationale Banken und Politiker waren fest
davon überzeugt, dass dies der Anbruch einer neuen Ära sei. Der
IWF und das US-Finanzministerium glaubten - oder behaupteten zumindest
-, dass eine vollständige Liberalisierung des Kapitalverkehrs der
Region helfen würde, sogar noch schneller zu wachsen.
.....
Die Liberalisierung des Kapitalmarkts liefert
die Entwicklungsländer auf Gedeih und Verderb den rationalen und irrationalen
Launen der Investoren aus, ihrem irrationalen Überschwang und Pessimismus.
.....
Vor der Liberalisierung unterlag die Kreditvergabe
der Banken [Thailands] für spekulative Immobiliengeschäfte starken
Beschränkungen, die man auferlegt hatte, weil das arme Land sich entwickeln
sollte und weil die Regierung der Ansicht war, dass die Investition der
knappen Finanzmittel ins verarbeitende Gewerbe sowohl Arbeitsplätze
schaffen als auch das Wachstum ankurbeln würde. Die Verantwortlichen
wussten, dass überall auf der Welt die Vergabe von Krediten für
spekulative Immobiliengeschäfte eine Hauptursache für wirtschaftliche
Instabilität ist. Derartige Immobilienkredite erzeugen » Seifenblasen
«, die immer platzen und dann eine schwere Wirtschaftskrise auslösen.
.....
Der IWF behauptet jedoch, solche Beschränkungen
beeinträchtigen die effiziente marktgesteuerte Verteilung von Ressourcen.
Wenn der Markt sagt: »Baut Bürogebäude!«, dann muss
die Errichtung gewerblicher Bauten die Aktivität sein, die die höchsten
Renditen einbringt. Und auch wenn der Markt sagt: "Baut leerstehende Bürogebäude",
wie es nach der Liberalisierung faktisch der Fall war, dann muss der Markt
es, nach der Logik des IWF, am besten wissen.
.....
Natürlich hat nicht nur der IWF auf Liberalisierungen
gedrängt. Das US-Finanzministerium, das als Repräsentant des
größten Anteilseigners des IWF und des einzigen Mitgliedslandes
mit Vetorecht einen starken Einfluss auf die Programme des IWF ausübt,
drängte ebenfalls auf Liberalisierung.
.....
Die Regierung [Südkoreas] hatte die Lektionen
aus den USA beherzigt, wo die Deregulierung in dem Sparkassen-Debakel in
den achtziger Jahren gipfelte. Daher hatte Südkorea seine Liberalisierungsstrategie
sorgfältig ausgearbeitet. Diese Öffnung ging jedoch der Wall
Street zu langsam, wo man profitable Geschäftschancen witterte und
nicht warten wollte. Obgleich die Wall Streeter für die Grundsätze
der freien Marktwirtschaft und eine beschränkte Rolle des Staates
eintreten, waren sie sich doch nicht zu gut, die Regierung um Unterstützung
für ihre Anliegen zu ersuchen. Wie wir sehen werden, reagierte das
Finanzministerium sehr drastisch. Im Sachverständigenrat waren wir
nicht der Ansicht, dass die Liberalisierung in Südkorea eine Frage
von nationalem Interesse sei, auch wenn sie zweifellos den Sonderinteressen
der Wall Street förderlich war. Wir waren auch besorgt über ihre
Auswirkungen auf die globale Stabilität. Wir schrieben ein Memorandum
beziehungsweise eine "Denkschrift", die die Probleme darlegen, eine Diskussion
anregen und die Aufmerksamkeit auf die Sache lenken sollte. Wir formulierten
eine Reihe von Kriterien, mit denen sich beurteilen ließ, welche
Maßnahmen zur Marktöffnung für die nationalen Interessen
der Vereinigten Staaten am wichtigsten waren.
.....
Der Nationale Wirtschaftsrat, den damals Robert
Rubin leitete, der frühere Chef von Goldman Sachs, einer der größten
Investmentbanken an der Wall Street (und der nach seinem Ausscheiden aus
dem öffentlichen Dienst Co-Vorsitzender des Verwaltungsrats der Citigroup
wurde, einer der größten Banken der Welt), befand, die Frage
sei nicht wich- tig genug, um dem Präsidenten vorgelegt zu werden.
Die Denkschrift wurde zurückgehalten. Der eigentliche Grund für
den Widerstand war nur allzu offensichtlich. Von vielen Formen des "Marktzugangs"
profitieren die USA kaum. Während einige spezifische Gruppen erheblichen
Nutzen daraus ziehen mochten, würde das Land insgesamt kaum davon
profitieren. Schlimmer noch, es war nicht einmal klar, ob die USA insgesamt
Vorteile erzielen würden, dagegen stand fest, dass Südkorea möglicher-
weise schlechter dastehen würde. Das US-Finanzministerium vertrat
die gegenteilige Auffassung."
.....
Die Diskussion fand hinter verschlossenen Türen
statt; vielleicht wäre ein anderes Ergebnis herausgekommen, wenn andere
Stimmen angehört worden und die Willensbildung transparenter gewesen
wären. Stattdessen setzte sich das Finanzministerium durch, und die
USA, Korea und die Weltwirtschaft verloren.
.....
Die erste Fehlerrunde
Zweifellos erhöhte die Politik von IWF und
US-Finanzministerium die Wahrscheinlichkeit einer Krise, indem sie zu einer
ungerechtfertigt schnellen Liberalisierung der Finanz- und Kapitalmärkte
ermunterte, ja sie forderte.
.....
Heute räumt der IWF ein, dass er einen zu
strengen fiskalpolitischen Sparkurs empfohlen habe." Diese Sparpolitik
machte die Rezession viel schlimmer, als sie hätte sein müssen.
Dennoch verteidigte der stellvertretende geschäftsführende Exekutivdirektor
des IWF, Stanley Fischer, während der Krise die Politik des IWF in
der Financial Times, er schrieb, dass der IWF von den Ländern doch
nur einen ausgeglichenen Haushalt erwarte!
.....
Als ich Mitglied des Wirtschaftssachverständigenrats
war, drehte sich eine unserer zentralen Kontroversen um den Zusatzartikel
in der Verfassung, der einen ausgeglichenen Haushalt fordert. Wir und das
Finanzministerium waren dagegen, weil wir dies für schlechte Wirtschaftspolitik
hielten.
.....
Trotz der Tatsache, dass eine expansive Fiskalpolitik
einer der wenigen Auswege aus der Rezession war und trotz der Heuchelei,
die darin lag, anderen Ländern etwas zu empfehlen, was man selbst
nicht einhielt, setzten sich das US-Finanzministerium und der IWF für
die Aufnahme von Klauseln, die einen ausgeglichenen Staatshaushalt forderten,
in die Verfassungen von Thailand, Südkorea und anderen ostasiatischen
Ländern ein.
.....
Als der Fonds in Ostasien aktiv wurde, zwang er
die Länder, die Zinsen auf ein nach herkömmlichen Maßstäben
astronomisches Niveau anzuheben. Ich erinnere an Präsident Clintons
Enttäuschung, dass die US-Notenbank unter ihrem von früheren
Administrationen er- nannten Präsidenten Alan Greenspan die Leitzinsen
um 0,25 oder 0,5 Prozentpunkte anheben wollte. Er befürchtete, dies
würde »seinen« Aufschwung zunichte machen.
.....
Doch in Asien erzwangen IWF-Bürokraten, die
politisch noch weniger rechenschaftspflichtig sind, Zinserhöhungen,
die nicht zehn-, sondern fünfzigmal größer waren - Zinserhöhungen
von über 2,5 Prozentpunkten. Wenn Clinton schon über die negativen
Auswirkungen einer Zinserhöhung um 0,5 Prozent auf einen sich gerade
anbahnenden Aufschwung besorgt war, hätte ihn der Effekt einer Erhöhung
um 25 Prozentpunkte auf eine Volkswirtschaft, die auf eine Rezession zusteuerte,
zur Weißglut getrieben. Südkorea erhöhte seine Zinssätze
zunächst auf 25 Prozent, doch dann wurde der Regierung mitgeteilt,
wenn sie es ernst meine, müsse sie die Zinsen noch weiter erhöhen.
.....
Tatsächlich war eine übermäßige
Fremdfinanzierung wiederholt als eine der Schwächen Südkoreas
genannt worden, selbst vom IWF. Hoch ver- schuldete Firmen reagieren besonders
empfindlich auf Zinserhöhungen, vor allem auf die extrem hohen Zinsen,
die der IWF forderte. Bei sehr hohen Zinssätzen geht ein Unternehmen
mit hohem Fremdkapitalanteil schnell Bankrott.
.....
Der Fonds erkannte, dass schwache Finanzinstitute
und überschuldete Firmen die grundlegenden Probleme Ostasiens waren
- dennoch setzte er eine Hochzinspolitik durch, die diese Probleme nur
noch verschärfte.
.....
Als ich mich beim IWF für eine Strategieänderung
einsetzte und auf die Katastrophe hinwies, die entstehen könnte, wenn
er seine gegenwärtige Strategie fortsetze, erhielt ich die barsche
Antwort: Falls es sich erweisen sollte, dass ich Recht hätte, würde
der Fonds seine Strategie ändern. Ich war entsetzt über diese
abwartende Haltung.
.....
Genau diese Schäden wurden in Ostasien angerichtet.
Weil viele Firmen hoch verschuldet waren, wurden viele in den Konkurs getrieben.
In Indonesien gerieten schätzungsweise 75 Prozent aller Unternehmen
in eine finanzielle Schieflage, während in Thailand annähernd
fünfzig Prozent der Bankkredite notleidend wurden.
.....
Im Jahr 1997 erklärte sich Japan bereit,
einen zu gründenden Asiatischen Währungsfonds mit 100 Milliarden
Dollar auszustatten, mit denen die notwendigen stimulativen Maßnahmen
finanziert werden sollten. Doch Finanzminister Robert Rubin und sein Stellvertreter
Summers setzten alles daran, die Idee abzuwürgen. Der IWF stimmte
ein. Der Grund für den Standpunkt des IWF lag auf der Hand: Während
der IWF den freien Wettbewerb auf den Märkten entschieden befürwortete,
duldete er in seiner eigenen Domäne keinen Wettbewerb, und der Asiatische
Währungsfonds hätte genau dies bedeutet. Die Motive des US-Finanzministeriums
waren ähnlich gelagert. Als der einzige Anteilseigner des IWF mit
Vetorecht hatten die USA einen erheblichen Einfluss auf die Grundsatzpositionen
des IWF. Es war allgemein bekannt, dass Japan die Maßnahmen des IWF
entschieden ablehnte - bei mehreren Treffen mit hochrangigen japanischen
Regierungsvertretern äußerten diese ihre Kritik an der Auflagenpolitik
des IWF, die sich weitgehend mit meinen Einwänden deckte." Japan und
möglicherweise China als die mutmaßlichen Haupteinzahler des
Asiatischen Währungsfonds hätten dort das Sagen und würden
so die amerikanische » Führung« - und Kontrolle - vor
eine echte Herausforderung stellen.
Zu Beginn der Krise zeigte sich besonders deutlich,
wie wichtig Kontrolle - auch Kontrolle über die Medien - ist. Als
der für Ostasien zuständige Vizepräsident der Weltbank,
Jean Michel Severino, in einer viel beachteten Rede darauf hinwies, dass
mehrere Länder der Region auf eine schwere Rezession beziehungsweise
Depression zusteuerten, verpasste ihm Summers verbal eine schallende Ohrfeige.
Die Verwendung des R(für Rezession)- und D(für Depression)-Worts
war schlicht mit einem Tabu belegt, ob- gleich damals klar war, dass das
indonesische Bruttoinlandsprodukt vermutlich zwischen zehn und fünfzehn
Prozent schrumpfen würde - eine Größenordnung, die zweifelsfrei
die Verwendung dieser harten Wörter rechtfertigte. Schließlich
konnten Summers, Fischer, das US-Finanzministerium und der IWF die Depression
nicht länger ignorieren. Japan machte erneut ein großzügiges
Hilfsangebot, die so genannte Miyazawa-lnitiative, benannt nach dem japanischen
Finanzminister. Diesmal wurde das Angebot auf dreißig Milliarden
Dollar herabgesetzt und angenommen. Doch die USA forderten noch immer,
das Geld solle nicht für die Ankurbelung der Wirtschaft durch Erhöhung
der Staatsausgaben verwendet werden, sondern für die Umstrukturierung
des Unternehmens- und Finanzsektors - faktisch also, um die Forderungen
amerikanischer und sonstiger ausländischer Banken sowie anderer Gläubiger
zu befriedigen. Das Abwürgen der Idee eines Asiatischen Währungsfonds
wird in Asien noch heute übel genommen.
.....
WER HAT RUSSLAND ZUGRUNDE GERICHTET ?
Mit dem Fall der Berliner Mauer Ende 1989 begann
eine der bedeutendsten wirtschaftlichen Transformationen aller Zeiten.
Es war das zweite kühne wirtschaftliche und soziale Experiment des
2,0. Jahrhunderts. Das erste war der kommunistische Systemwechsel siebzig
Jahre zuvor gewesen.
.....
Der zweite ökonomische Systemübergang
in Russland sowie in Ost- und Südosteuropa ist keineswegs abgeschlossen,
aber so viel steht fest: Er ist in Russland weit hinter den Versprechungen
beziehungsweise Hoffnungen der Befürworter der Marktwirtschaft zurückgeblieben.
Für die meisten Menschen, die in den Nachfolgestaaten der einstigen
Sowjetunion leben, sind die Existenzbedingungen im Kapitalismus noch schlechter,
als es die altkommunistischen Kader vorhersagten. Und die Zukunftsaussichten
sind düster. Die Mittelschicht wurde zerstört, ein System von
Nepotismus und Mafia-Kapitalismus geschaffen, und die einzige Errungenschaft,
die Errichtung einer Demokratie mit effektiven Freiheitsrechten wie etwa
Pressefreiheit, steht auf überaus tönernen Füßen,
wie man insbesondere daran ersieht, dass vormals unabhängige Fernsehsender
nacheinander geschlossen werden. Auch wenn die Entscheidungsträger
in Russland erheblichen Anteil an den Ereignissen haben, trifft die westlichen
Berater, allen voran die aus den Vereinigten Staaten und des IWF, die schon
bald zur Stelle waren, um das Evangelium der Marktwirtschaft zu predigen,
eine Mitschuld.
.....
So viel ist klar: Die Einkommen sind heute deutlich
niedriger als vor zehn Jahren, und die Armut ist viel größer.
Die Pessimisten sehen eine Atommacht, die von politischer und sozialer
Instabilität bedroht ist. Die Optimisten (!) sehen ein halb autoritäres
Regime, das die innere Ordnung gewährleistet, aber um den Preis des
Verlusts demokratischer Freiheiten.
.....
Einige der Protagonisten der zweiten Revolution
in den neunziger Jahren glaubten zunächst, dass die Russen, befreit
von den Fesseln des Kommunismus, rasch die Vorteile des Marktes erkennen
würden. Doch einige der marktwirtschaftlichen Reformer in Russland
(sowie ihre westlichen Unterstützer und Berater) hatten sehr wenig
Vertrauen oder Interesse an der Demokratie; sie befürchteten, dass
das russische Volk, wenn es frei wählen könnte, sich nicht für
das "richtige" (das heißt ihr) ökonomische Modell entscheiden
würde.
.....
Es ist nicht verwunderlich, dass die marktwirtschaftlichen
Reformer in ähnlicher Weise agierten wie die früheren Kommunisten:
In Russland fühlte sich Präsident Jelzin, der über eine
sehr viel größere Machtfülle gebot als all seine Amtskollegen
in westlichen Demokratien, dazu ermutigt, die demokratisch gewählte
Duma (das Parlament) zu umgehen und marktwirtschaftliche Reformen per Dekret
durchzusetzen. Es ist, als würden die marktwirtschaftlichen Bolschewiken,
die einheimischen "Rechtgläubigen", und die westlichen Experten und
Prediger der neuen Wirtschaftsreligion, die in die postsozialistischen
Länder drängten, eine milde Version der Leninschen Methoden benutzen,
um den Übergang in die postkommunistische, "demokratische" Ära
zu vollziehen.
Herausforderungen und Chancen der Transformation
.....
Dies lag nicht etwa daran, dass sie geglaubt hätten,
diese Lehren seien in Anbetracht der russischen Geschichte (oder der Geschichte
der anderen Transformationsländer) irrelevant. Vielmehr ignorierten
sie aus einem einfachen Grund den Rat russischer Experten auf den Gebieten
Geschichte, Wirtschaft und Gesellschaft: Sie glaubten, dass die bevorstehende
marktwirtschaftliche Revolution das gesamte Wissen der Geschichtswissenschaft,
der Soziologie und anderer Disziplinen zu Makulatur erklären würde.
Die marktwirtschaftlichen Fundamentalisten predigten die reine Volkswirt-
schaftstheorie der Lehrbücher - ein grob vereinfachtes Modell der
Marktwirtschaft, das der Dynamik des Wandels kaum Beachtung schenkte.
.....
Die Ansichten der nachdrücklich vom US-Finanzministerium
und vom IWF unterstützten Schocktherapeuten
setzten sich in den meisten Ländern durch. Die sanften Reformer dagegen
waren der Ansicht, die Umstellung auf ein marktwirtschaftliches System
lasse sich besser bewältigen, wenn man allmählich und der Reihe
nach vorginge. Man brauchte keine vollkommenen In- stitutionen, aber, um
nur ein Beispiel zu nennen, wenn man ein Monopol privatisierte, bevor ein
funktionsfähiger Wettbewerb herrschte oder eine Aufsichtsbehörde
eingerichtet war, würde man womöglich ein staatliches Monopol
nur durch ein privates Monopol ersetzen, das den Verbraucher vielleicht
noch schamlo- ser ausbeutete.
.....
Chronik der »Reform«
.....
Vor lauter marktwirtschaftlichem Überschwang
wurden die meisten Preise 1992 über Nacht freigegeben; dies löste
eine Inflation aus, die die Ersparnisse vernichtete und das Problem der
makroökonomischen Stabilität ganz oben auf die Tagesordnung setzte.
Allen war klar, dass bei einer Hyperinflation (einer zweistelligen monatlichen
Inflationsrate) der Erfolg der Transformation stark gefährdet war.
Daher erforderte die erste schocktherapeutische Maßnahme - die sofortige
Freigabe der Preise - eine zweite schocktherapeutische Intervention zur
Eindämmung der Inflation. Hierzu bedurfte es einer restriktiven Geldpolitik,
also wurden die Zinssätze heraufgesetzt. Die meisten Preise wurden
vollständig freigegeben, einige der wichtigsten Preise (die für
Bodenschätze) dagegen niedrig gehalten. Angesichts der jüngst
proklamierten "Marktwirtschaft" kam dies einer offenen Einladung gleich:
Wer etwa Erdöl kaufen und in den Westen weiterverkaufen könnte,
würde Millionen oder gar Milliarden von Dollar verdienen.
.....
Liberalisierung und Stabilisierung waren zwei
Eckpfeiler der radikalen Reformstrategie des IWF. Zügige Privatisierung
war der dritte. Aber die ersten beiden Eckpfeiler standen dem dritten im
Weg. Die anfängliche hohe Inflation hatte die Ersparnisse der meisten
Russen vernichtet, so dass es im Land nur wenige Menschen gab, die das
Geld hatten, um die zu privatisierenden Unternehmen zu kaufen.
.....
Die Strategie des IWF ging nicht auf: Nach 1989
fiel das russische Bruttoinlandsprodukt Jahr für Jahr. Aus der erwartet
kurzen Rezession in der Ubergangsphase wurde eine Rezession, die über
zehn Jahre dauerte. Der Boden schien nie in Sicht zu kommen. Russland erlitt
größere volkswirtschaftliche Verluste - gemessen am Rückgang
des BIP - als während des Zweiten Weltkriegs. In dem Zeitraum 1940-46
fiel die Industrieproduktion der Sowjetunion um 24 Prozent. Im Zeitraum
1990-99 sank die russische Industrieproduktion um fast sechzig Prozent
- was sogar den Rückgang des BIP (54%) noch übertraf. Diejenigen,
die Kenntnisse über den früheren, kommunistischen Systemwechsel
in der russischen Revolution besaßen, zogen sogar Vergleiche zwischen
diesem sozioökonomischen Trauma und der Transformation nach 1989:
Der Viehbestand ging um die Hälfte zurück, die Investitionstätigkeit
in der verarbeitenden Industrie kam fast völlig zum Erliegen. Russland
konnte bescheidene ausländische Investitionen für seine Bodenschätze
erlangen; Afrika hatte schon vor langer Zeit gezeigt, dass es leicht ist,
ausländische Investoren anzulocken, wenn man den Preis für Bodenschätze
nur stark genug senkt.
Das Stabilisierungs-, Liberalisierungs- und Privatisierungsprogramm
war natürlich kein Wachstumsprogramm. Es sollte die Voraussetzungen
für Wachstum schaffen. Stattdessen schuf es die Voraussetzungen für
den Niedergang. Nicht nur die Investitionen kamen zum Erliegen, sondern
das vorhandene Kapital wurde auch rasch aufgezehrt - die Ersparnisse lösten
sich aufgrund der hohen Inflation in Luft auf, die Privatisierungserlöse
und die ausländischen Kredite wurden größtenteils veruntreut.
Die Privatisierung, die mit der Öffnung der Kapitalmärkte einherging,
führte nicht zur Hebung des Wohlstands, sondern zur Zerschlagung von
Unternehmen. Das war an sich vollkommen logisch. Ein Oligarch, der dank
seines politischen Einflusses zum Schleuderpreis erstandene Vermögenswerte
für Milliardenbeträge verschachert, möchte seinen Profit
verständlicherweise außer Landes schaffen. Geld in Russland
zu belassen bedeutet, in ein Land zu investieren, das sich in einer schweren
Depression befindet, und das Risiko nicht nur magerer Renditen, sondern
auch der Beschlagnahme der Vermögenswerte durch die nächste Regierung
einzugehen, die völlig zu Recht beanstanden könnte, der Privatisierungsprozess
sei »unrechtmäßig« gewesen. Jeder, der so gewieft
war, um als Gewinner aus der Privatisierungslotterie hervorzugehen, war
auch so klug, sein Geld in den boomenden US-Aktienmarkt oder in den sicheren
Hafen verschwiegener ausländischer Bankkonten zu stecken. Er musste
sich nicht einmal besonders anstrengen; da verwundert es nicht, dass Milliarden
aus dem Land flossen. Der IWF versprach weiterhin, die Trendwende stehe
unmittelbar bevor. 1997 hatte er Grund zum Optimismus.
.....
Aber natürlich ist es leicht, zügig
zu privatisieren, wenn man nicht darauf achtet, wie privatisiert wird:
Man verscherbelt wertvolles Staatseigentum an seine Freunde. Tatsächlich
kann es für Regierungen sehr einträglich sein, so vorzugehen
- gleich ob die Rückflüsse in Form von Barzahlungen oder in Form
von Wahlkampfspenden (oder beidem) eingehen. Aber die zarten Anzeichen
der Erholung, die sich 1997 zeigten, sollten nicht von Dauer sein.
.....
Das rückläufige Bruttoinlandsprodukt
und die sinkenden Investitionen hinterließen auch in den Staatsfinanzen
ihre Spuren: Der russische Staat hatte sich hoch verschuldet. Obgleich
es der Regierung schwer fiel, mit den knappen Mitteln über die Runden
zu kommen, hatte sie unter dem Druck der Vereinigten Staaten, der Weltbank
und des IWF, die auf eine rasche Privatisierung drängten, staatliche
Vermögenswerte zu Schleuderpreisen veräußert, und zwar
bevor ein leistungsfähiges Steuersystem vorhanden war. Die Regierung
schuf eine mächtige Klasse an Oligarchen und Geschäftsleuten,
die nur einen Bruchteil ihrer Steuerschulden bezahlten, sehr viel weniger
jedenfalls als das, was sie in praktisch jedem anderen Land bezahlt hätten.
Daher war Russland zur Zeit der Ostasien-Krise in einer merkwürdigen
Lage. Es besaß riesige Rohstoffvorkommen, aber der Staat war verarmt.
Die Regierung verscherbelte praktisch das gesamte wertvolle Tafelsilber,
und gleichzeitig war sie nicht in der Lage, die Renten und die Sozialhilfe
zu bezahlen. Die Regierung nahm Kredite in .Milliardenhöhe beim IWF
auf, wodurch sie sich immer höher verschuldete, während die Oligarchen,
die von der Regierung so großzügig beschenkt worden waren, Milliarden
aus dem Land abzogen. Der IWF hatte die Regierung ermuntert, den Kapitalmarkt
zu öffnen und die freie Kapitalbewegung zu ermöglichen. Diese
Politik sollte das Land für ausländische Investoren attraktiver
machen; aber sie war praktisch eine Einbahnstraße, die die Kapitalflucht
aus dem Land erleichterte.
Die Krise von 1998
.....
Es war auch klar, dass der Rubel überbewertet
war. Russland wurde von Importen förmlich überschwemmt, und die
inländischen Erzeuger waren kaum konkurrenzfähig. Die Umstellung
auf eine Marktwirtschaft mit deutlich geringeren Verteidigungs- ausgaben
sollte eine Umschichtung von Ressourcen in die Produktion von Konsumgütern
beziehungsweise von Maschinen zur Herstellung von Konsumgütern bewirken.
Doch die Investitionen waren zum Erliegen gekommen, und es wurden keine
Konsumgüter hergestellt. Die überbewertete Währung hatte
- zusammen mit den anderen wirtschaftspolitischen Maßnahmen, die
der IWF dem Land aufgezwungen hatte - die Wirtschaft abgewürgt, und
obgleich die amtliche Arbeitslosenquote vergleichsweise niedrig blieb,
gab es eine massive versteckte Arbeitslosigkeit.
.....
Obgleich es den meisten Russen also deutlich schlechter
ging, schreckten die Reformer und ihre Berater beim IWF vor einer Abwertung
zurück, da sie glaubten, dies würde eine weitere Runde der Hyperinflation
auslösen. Sie widersetzten sich nachdrücklich jeder Veränderung
des Wechselkurses, und sie waren bereit, Milliarden von Dollar ins Land
zu pumpen, um dies zu verhindern.
.....
Als die New Yorker Investmentbanken Kredite an
Russland vergaben, sprachen sie hinter vorgehaltener Hand darüber,
dass das Stützungspaket des IWF diesmal besonders üppig ausfallen
musste. Die Krise spitzte sich in der gleichen Weise zu wie so viele Krisen.
Die Spekulanten wissen, wie hoch die noch vorhandenen Währungsreserven
sind, und als die Reserven schwanden, wurde die Spekulation auf eine Abwertung
immer mehr zu einer sicheren Wette. Sie riskierten praktisch nichts, als
sie auf den Verfall des Rubels setzten. Wie erwartet, schnürte der
IWF im Juli 1998 ein Beistandspaket von 11,2, Milliarden Dollar.
In den Wochen vor Ausbruch der Krise drängte
der IWF auf wirtschaftspolitische Maßnahmen, die die Krise noch verschärfen
sollten. So forderte der Fonds Russland auf, mehr Kredite in Fremdwährungen
und weniger Kredite in Rubel aufzunehmen. Das Argument war einfach: Der
Zinssatz für Verbindlichkeiten in Rubel war sehr viel höher als
der Zinssatz für Verbindlichkeiten in Dollar. Durch Aufnahme von Krediten
in Dollar konnte die Regierung Geld sparen.
.....
Diese Fehleinschätzung setzte das Land einem
enormen Risiko aus: Wenn der Rubel an Wert verlor, würde es Russland
sehr viel schwerer fallen, seine auf Dollar lautenden Anleihen zurückzuzahlen.
Doch der IWF steckte lieber den Kopf in den Sand. Indem er Russland zu
einer größeren Kreditaufnahme im Ausland ermunterte, war er
mitverantwortlich dafür, dass Russland die Tilgung seiner Schulden
schließlich aussetzen musste.
.....
Die Rettung
Als die Krise ausbrach, leitete der IWF die Rettungsbemühungen,
aber er wollte, dass die Weltbank sechs Milliarden Dollar zu dem Beistandspaket
beisteuerte. Das Rettungspaket belief sich insgsamt auf 22,6 Milliarden
Dollar. Der IWF sollte davon, wie bereits erwähnt, 11,2, Milliarden
Dollar tragen, die Weltbank sechs Milliarden Dollar, und den Rest würde
die japanische Regierung bereitstellen.
.....
Die Beweise für die grassierende Korruption
in Russland waren eindeutig. In der Korruptionsstudie der Weltbank wurde
die Region als eine der korruptesten weltweit bewertet. Der Westen wusste,
dass ein Großteil dieser Milliarden veruntreut und den Familien und
Geschäftsfreunden korrupter Beamter zugeschanzt würde. Obwohl
Weltbank und IWF scheinbar entschieden gegen die Kreditvergabe an solche
Regierungen waren, schienen sie zwei verschiedene Maßstäbe anzulegen.
Kleinen Ländern ohne strategische Bedeutung wie Kenia wurden wegen
Korruption Kredite verweigert, während Länder wie Russland, wo
die Korruption ein viel größeres Ausmaß erreichte, beständig
neue Kredite erhielten. Neben diesen moralischen Bedenken gab es auch schlicht
volkswirtschaftliche Einwände. Die Hilfsgelder des IWF sollten den
Wechselkurs stützen. Doch wenn die Währung eines Landes überbewertet
ist und dadurch die Volkswirtschaft in Mitleidenschaft gezogen wird, ist
es sinnlos, den Wechselkurs zu stützen. Wenn die Stützung des
Wechselkurses funktionierte, würde dies die Wirtschaft belasten. Doch
in dem wahrscheinlicheren Fall, dass die Stützung nicht funktionierte,
wäre das Geld vergeudet, und das Land noch höher verschuldet.
Unsere Berechnungen bei der Weltbank (vor der Kreditzusage), die sich auf
die geschätzte Entwicklung der Staatseinnahmen und -ausgaben im Zeitablauf
stützte, deuteten nachdrücklich darauf hin, dass der Kredit vom
Juli 1998 nicht den gewünschten Erfolg bringen würde. Sofern
die Zinssätze nicht durch ein Wunder drastisch sinken würden,
steckte Russland schon im Herbst wieder in der Krise.
.....
Trotz des energischen Widerstandes ihrer eigenen
Mitarbeiter setzte die Clinton-Administration die Weltbank massiv unter
Druck, Russland Kredite zu gewähren.
.....
Bemerkenswerterweise ignorierte der IWF einfach
die Korruption und die damit verbundenen Risiken über die Mittelverwendung.
Er glaubte tatsächlich, es sei sinnvoll, den Wechselkurs auf einem
überbewerteten Niveau zu halten, und das Geld würde dies Russland
für mehr als nur ein paar Monate ermöglichen. Er stellte dem
Land einen Milliardenkredit zur Verfügung.
.....
Drei Wochen nach der Gewährung des Kredits
verkündete Russland eine einseitige Zahlungseinstellung und die Abwertung
des Rubels. Der Rubel stürzte ab. Im Januar 1999 hatte er gegenüber
seinem Stand vom Juli 1998 real 45 Prozent an Wert verloren. Die Ankündigung
vom 17. August löste eine weltweite Finanzkrise aus.
.....
Die Federal Reserve Bank von New York fädelte
einen privaten bail-out für einen der größten US-Hedge-Fonds,
Long Term Capital Management, ein, weil die Fed befürchtete, sein
Konkurs könne eine globale Finanzkrise auslösen. Das Erstaunliche
an dem Währungsabsturz war nicht der Zusammenbruch als solcher, sondern
die Tatsache, dass er wirklich für einige der IWF-Bediensteten darunter
einige der höchstrangigen überraschend kam. Sie hatten ernsthaft
geglaubt, ihr Programm würde funktionieren. Unsere eigenen Prognosen
erwiesen sich als nur teilweise richtig: Wir hatten geglaubt, das Geld
würde den Wechselkurs für drei Monate stützen, tatsächlich
reichte es nur für drei Wochen. Wir waren der Ansicht, die Oligarchen
würden Tage oder gar Wochen brauchen, um das Geld außer Landes
zu schaffen, tatsächlich brauchten sie nur Stunden oder höchstens
Tage. Die russische Regierung "erlaubte" sogar die Aufwertung des Rubel.
Die Oligarchen brauchten so weniger Rubel, um sich mit Dollar einzudecken.
Ein lächelnder Viktor Geraschenko, der Präsident der russischen
Zentralbank, der anschließend von dem Volkswirt Jeffrey Sachs als
der schlechteste Zentralbankpräsident der Welt tituliert wurde, sagte
dem Präsidenten der Weltbank und mir, es handele sich lediglich um
das "Wirken von Marktkräften". Als der IWF mit den Tatsachen konfrontiert
wurde die Milliarden von Dollar, die er Russland als Kredit gewährt
hatte, tauchten nur wenige Tage später auf zypriotischen und schweizerischen
Bankkonten auf -, behauptete er, es seien nicht seine Dollar. Dieses Argument
zeugte entweder von einem bemerkenswerten Mangel an ökonomischem Sachverstand
oder einem Ausmaß an Unaufrichtigkeit, das der Verlogenheit Geraschenkos
kaum nachstand, oder auch beidem.
.....
Natürlich profitierten nicht nur die Oligarchen
von dem Hilfspaket. Die Investmentbanker an der Wall Street und die anderer
westlicher Finanzinstitute, die sich besonders nachdrücklich für
ein Hilfspaket eingesetzt hatten, wussten, dass seine Wirkung bald verpuffen
würde: Sie nutzten die kurze Verschnaufpause, die ihnen das Beistandspaket
verschaffte, um so viel wie möglich zu »retten« und außer
Landes zu fliehen. Indem der IWF Russland Kredite für eine verlorene
Sache gewährte, trieb er das Land noch tiefer in die Verschuldung,
ohne dass dies irgendeinen positiven Effekt gehabt hätte. Die Zeche
für diesen Fehler hatten weder die IWF-Bediensteten zu zahlen, die
den Kredit vergaben, noch die USA, die darauf gedrängt hatten, noch
die westlichen Banken und die Oligarchen, die von dem Kredit profitierten,
sondern der russische Steuerzahler.
.....
Laut den Daten der Weltbank belief sich das Russlands
im Jahr 2000 auf 63,9 Prozent des Niveaus von 1989Am drastischsten ist
der Einbruch in Moldawien, das es auf ganze 31,8 Prozent des Produktionsniveaus
von 1990 bringt. Und das Bruttoinlandsprodukt der Ukraine betrug im Jahr
2,000 nur 33,5 Prozent des BIP vor zehn Jahren.
.....
Zunahme von Armut und Ungleichheit
Die Statistiken erzählen nicht die ganze Geschichte
der Umwälzung in Russland. Sie übersehen einen der wichtigsten
Erfolge: Wie bewertet man den Nutzen der neuen Demokratie, so unvollkommen
diese auch sein mag? Aber sie lassen auch einen der größten
Misserfolge außer Betracht: die wachsende Armut und Ungleichheit.
Nicht nur die Größe des Kuchens der nationalen Volkswirtschaft
schrumpfte, sondern er wurde auch immer ungleicher verteilt, so dass der
durchschnittliche Russe ein immer kleineres Stück abbekam. Im Jahr
1989 lebten nur zwei Prozent der Russen in Armut. Bis Ende 1998 war diese
Zahl auf 2,3,8 Prozent in die Höhe geschnellt, wobei zwei Dollar pro
Tag die Armutsgrenze definierten. Über vierzig Prozent der Bevölkerung
mussten laut einer Erhebung der Weltbank mit weniger als vier Dollar pro
Tag auskommen. Die Statistik für Kinder enthüllte sogar ein noch
gravierenderes Problem: Über fünfzig Prozent der Kinder leben
in armen Familien. In anderen postkommunistischen Ländern kam es zu
einer vergleichbaren, wenn nicht schlimmeren Zunahme der Armut.
.....
Russland findet sich heute in der schlechtesten
aller Welten wieder ein gigantischer Rückgang der gesamtwirtschaftlichen
Produktion und eine enorme Zunahme der Ungleichheit. Und die Aussichten
für die Zukunft sind düster: Extreme Ungleichheiten hemmen das
Wachstum, besonders wenn sie zu sozialer und politischer Instabilität
führen.
Wir haben bereitsgesehen, wie die wirtschaftspolitischen
Leitlinien des "Washington Consensus" zu den Fehlschlägen beitrugen:
Eine falsch umgesetzte Privatisierung hatte nicht zu Effizienz und Wachstumsschüben,
sondern zu zerschlagenen Betrieben geführt.
.....
Inflation
.....
Der IWF forderte Russland auf, so schnell wie
möglich zu privatisieren: Wie die Privatisierung umgesetzt wurde,
galt als zweitrangig. Die negativen Auswirkungen die sinkenden Einkommen
wie die wachsende Ungleichheit lassen sich direkt mit diesem Fehler in
Verbindung bringen. In einer Studie der Weltbank zur zehnjährigen
Geschichte der Transformationsländer zeigte sich, dass sich die Privatisierung
nicht positiv auf das Wachstum auswirkte, wenn sie nicht von einer institutionellen
Infrastruktur (wie corporate governance) flankiert wird.
.....
Die Privatisierung, so wie sie Russland (und vielen
der ehemaligen Satellitenstaaten der Sowjetunion) auferlegt wurde, hat
nicht nur der russischen Volkswirtschaft geschadet, sondern auch das Vertrauen
in den Staat, die Demokratie und in die Reformen untergraben. Ich erwähnte
bereits, dass die russische Regierung die wertvollsten Vermögenswerte
des Landes, seine Bodenschätze, faktisch verschenkte, bevor sie ein
System zur Erhebung von Steuern auf Bodenschätze eingeführt hatte.
Das Ergebnis: ein reiches Land, das Milliarden von Dollar an ein paar Freunde
und Vertraute von Jelzin verschenkte und nicht in der Lage ist, seinen
Alten eine monatliche Rente in Höhe von i $ Dollar zu bezahlen. Das
ungeheuerlichste Beispiel einer misslungenen Privatisierung war das Programm
zur Vergabe von Krediten gegen Unternehmensanteile {loans-for-share). Im
Jahr 1995 wandte sich die Regierung statt an die Zentralbank an die Privatbanken,
um sich benötigte Finanzmittel zu beschaffen. Viele dieser Privatbanken
gehörten Freunden von Regierungsmitgliedern, die Bankenkonzessionen
erhalten hatten. In einem Umfeld, in dem die Banken keiner effizienten
Aufsicht unterlagen, waren die Konzessionen praktisch eine Lizenz zum Gelddrucken,
zur Vergabe von Krediten entweder an sich selbst. Freunde oder an die Regierung.
Die Regierung bot dabei Beteiligungen an Staatsbetrieben als Kreditsicherheit
an. Anschließend welche Überraschung! konnte die Regierung ihre
Kredite nicht zurückzahlen, die Privatbanken übernahmen die Firmen
in einer Art Scheinverkauf (obgleich die Regierung fadenscheinige »Auktionen«
abhielt), und ein paar Leute wurden über Nacht Milliardäre. Diese
Privatisierungen waren nicht politisch legitimiert. Und die Tatsache, dass
sie nicht legitim waren, machte es für diese Leute noch dringlicher,
ihr Kapital schnellstens außer Landes zu schaffen bevor eine neue
Regierung möglicherweise auf die Idee kam, die Privatisierungen rückgängig
zu machen oder ihre Position zu untergraben.
.....
Das loans-for-share-Progiamm stellte die letzte
Phase der Bereicherung der Oligarchen dar, jenes kleinen Kreises von Personen
(darunter einige, denen Verbindungen zur Mafia nachgesagt werden), die
schließlich nicht nur das wirtschaftliche, sondern auch das politische
Leben des Landes beherrschten. Sie behaupteten sogar einmal, fünfzig
Prozent des gesamten Vermögens des Landes zu besitzen!
.....
Die Unternehmen, die Beresowskij der oft als der
mächtigste der Oligarchen beschrieben wird kontrollierte, wurden alle
bis zur Konkursreife heruntergewirtschaftet. Nachdem er die russische Fluggesellschaft
Aeroflot übernommen hatte, bemühte er sich nicht etwa darum,
ihre langfristige Rentabilität zu maximieren oder sie für den
Weltmarkt fit zu machen, sondern ausschließlich darum, den Betrag
zu maximieren, den er auf sein Konto und die Konten seiner Kumpane abzweigen
konnte.
Der soziale Kontext
.....
Die Art und Weise, wie der marktwirtschaftliche
Systemwechsel in Russland umgesetzt wurde, unterhöhlte dieses Sozialkapital.
Man brachte es nicht durch harte Arbeit oder Investitionen zu Vermögen,
sondern, indem man politische Beziehungen spielen ließ, um sich bei
Privatisierungen Staatseigentum zum Schnäppchenpreis unter den Nagel
zu reißen. Der Gesellschaftsvertrag zwischen den Bürgern und
ihrer Regierung wurde gebrochen, als Rentner mit ansehen mussten, wie die
Regierung wertvolles Staatsvermögen verschleuderte, aber gleichzeitig
behauptete, sie habe nicht das Geld, um deren Renten zu bezahlen. Die Konzentration
des IWF auf makroökonomische Größen -insbesondere die Inflation-
ließ ihn Belange wie Armut, Ungleichheit und Sozialkapital aus dem
Blick verlieren.
.....
So gibt es beispielsweise wichtige Voraussetzungen
für eine erfolgreiche Privatisierung in großem Stil, und es
dauert, bis die Voraussetzungen erfüllt sind" Der konkrete Verlauf
der Reformen in Russland beweist, dass Anreize wichtig sind, aber dass
Russlands Form von »Ersatzkapitalismus« keine Anreize für
Vermögensbildung und wirtschaftliches Wachstum lieferte, sondern Anreize
für die Zerschlagung von Unternehmen. Die zügige Systemumstellung
führte nicht zu einer reibungslos funktionierenden Marktwirtschaft,
sondern zu einem anarchischen "Wilden Osten".
Marktwirtschaftliche Reformen nach bolschewistischem
Muster
.....
Die radikalen Reformer in Russland dagegen bemühten
sich um eine revolutionäre Umwälzung der ökonomischen und
gesellschaftlichen Ordnung. Leider scheiterten sie letztlich in beidem:
Das Ergebnis war eine Marktwirtschaft, in der viele ehemalige Partei-Apparatschiks
einfach mit erweiterten Vollmachten zur Leitung und Ausschlachtung von
Betrieben ausgestattet wurden, die sie schon in der kommunistischen Ära
geleitet hatten, und in der frühere KGB-Offiziere noch immer die Hebel
der Macht in den Händen hielten. Es gab eine neue Dimension: Ein paar
neue Herrscher übten enorme politische und wirtschaftliche Macht aus.
.....
Den Superreichen geht es in der Regel hinter verschlossenen
Türen besser, wo sie ungestört über spezielle Vergünstigungen
und Vorrechte feilschen können. Zweifellos verdanken wir unser strenges
Wettbewerbsrecht nicht den Rockefellers und Bill Gates dieser Welt! Und
heute hören wir von den russischen Oligarchen, den neuen Monopolisten,
keine Forderung nach einer strengen Wettbewerbspolitik. Diese Herrscher,
die ihren Reichtum Mauscheleien mit dem Kreml verdanken, haben auch noch
nicht die Einführung rechtsstaatlicher Prinzipien verlangt. Die Forderung
nach freien Medien kam von Leuten, die die Kontrolle über die Medien
erlangen wollten, um ihre Macht zu sichern, und sie erhoben diese Forderung
immer nur dann, wenn die Regierung sich anschickte, ihre Macht zu beschneiden.
.....
Dennoch haben hochrangige amerikanische und IWF-Bedienstete
den Gefahren, die diese Konzentration von Medienmacht mit sich bringt,
wenig Beachtung geschenkt; statt dessen konzentrierten sie sich auf die
zügige Durchführung der Privatisierung. Und es freute sie ja,
es erfüllte sie mit Stolz -, dass die konzentrierte Macht der
Privatmedien erfolgreich dazu eingesetzt wurde, ihre Freunde, Boris Jelzin
und die so genannten »Reformer«, an der Macht zu halten.
.....
Doch selbst im Westen wurden die wichtigsten Entscheidungen
in der Russlandpolitik sowohl bei den internationalen Wirtschaftsinstitutionen
als auch im US-Finanzministerium weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit
getroffen. Weder die Steuerzahler im Westen, denen diese Institutionen
doch eigentlich rechenschaftspflichtig waren, noch das russische Volk,
das letztlich die Zeche zahlte, waren damals über die Vorgänge
genauer im Bilde. Erst jetzt ringen wir mit der Frage: »Wer hat Russland
zugrunde gerichtet? Und weshalb ?«
UNFAIRE HANDELSGESETZE UND ANDERE MISSSTÄNDE
Der IWF ist eine politische Institution. Das Beistandspaket
von 1998 war von dem Wunsch diktiert, Jelzin an der Macht zu halten, auch
wenn es nach allen Prinzipien, an denen sich die Kreditvergabe hätte
orientieren sollen, wenig sinnvoll war. Die stillschweigende Hinnahme,
um nicht zu sagen offene Unterstützung für das korrupte loans-for-share-Privatisierungsprogramm,
ging auch davon aus, dass die Korruption für etwas gut war - die Wiederwahl
Jelzins zu sichern. Die IWF-Politik auf diesen Gebieten war untrennbar
mit den politischen Positionen des US-Finanzministeriums verknüpft.
Innerhalb der Clinton-Administration gab es in der Tat Bedenken gegen die
Strategie des Finanzministeriums. Nach der Niederlage der Reformer im Dezember
1993 artikulierte Strobe Talbott, der spätere stellvertretende Außenminister,
die weit verbreiteten Vorbehalte gegen die Strategie der Schocktherapie:
dass der Schock zu heftig und der therapeutische Nutzen zu gering ausfallen
könnte. Wir vom Sachverständigenrat waren eindeutig der Meinung,
dass die USA Russland in die falsche Richtung schickten. Aber das US-Finanzministerium
erklärte die russische Wirtschaftspolitik zu seiner Domäne, wandte
sich gegen alle Versuche, einen offenen Dialog innerhalb oder außerhalb
der Regierung zu führen, und hielt stur an seiner Empfehlung einer
Schocktherapie und einer zügigen Privatisierung fest. Die Einstellung
der Verantwortlichen beim US-Finanzminister war ebenso politisch wie ökonomisch
motiviert. Sie waren besorgt über die drohende Gefahr eines Rückfalls
in den Kommunismus. Die sanften Reformer dagegen waren beunruhigt, die
Schocktherapie könne misslingen: Wachsende Armut und sinkende Einkommen
würden die marktwirtschaftlichen Reformen untergraben. Auch hier sollten
die Befürworter einer sanften Reform Recht behalten.
.....
Als die Probleme der Reformstrategie und die Schwächen
der Regierung Jelzin mit der Zeit deutlicher wurden, reagierten die Verantwortlichen
beim IWF und US-Finanzministerium ähnlich wie ehedem US-Regierungsvertreter,
als sich die Niederlage im Vietnamkrieg immer deutlicher abzeichnete: Sie
ignorierten die Tatsachen, sie leugneten die Wirklichkeit, sie unterdrückten
jegliche Diskussion und sie vergeudeten immer mehr Geld für eine verlorene
Sache.
.....
Als sich die Erfolgsaussichten immer mehr verdüsterten,
als die Krise unabwendbar zu sein schien, änderte sich die Rhetorik:
Statt des Vertrauens in Jelzin wurde jetzt die Gefahr einer unwägbaren
Alternative in den Vordergrund gestellt.
.....
Die Angst war förmlich mit Händen zu
greifen. Eines Tages bekam ich einen Anruf von einem hochrangigen Berater
der russischen Regierung. Er wollte eine Expertenrunde organisieren, die
Strategien formulieren sollte, wie die russische Wirtschaft nachhaltig
angekurbelt werden könnte. Das beste Rezept, das der IWF während
seiner jahrelangen Beratungstätigkeit offerieren konnte, war Stabilisierung;
bei Wachstumsstrategien dagegen stand er mit leeren Händen da. Und
es war klar, dass Stabilisierung - zumindest so, wie sie der IWF verstand
- das Wachstum nicht fördern würde. Als der IWF und das US-Finanzministerium
Wind von der beabsichtigten Expertenrunde bekamen, wurden sie sofort aktiv.
Finanzminister Rubin rief den Präsidenten der Weltbank an, und ich
wurde angewiesen, nicht an der Runde teilzunehmen. Doch obgleich das US-Finanzministerium
die Weltbank oft als seinen Erfüllungsgehilfen betrachtet, können
andere Länder, wenn sie sich eng miteinander abstimmen, selbst den
US-Finanzminister austricksen. Und so geschah es hier: Nach den entsprechenden
Anrufen und Briefen aus Russland reiste ich dorthin. Als sich die Fehlschläge
immer deutlicher abzeichneten und als immer klarer wurde, dass die USA
aufs falsche Pferd gesetzt hatten, versuchten die US-Vertreter noch energischer,
jegliche Kritik und öffentliche Diskussion zu verhindern. Das US-Finanzministerium
wollte Gespräche zwischen Mitarbeitern der Weltbank und Journalisten
unterbinden, um sicherzustellen, dass allein seine Sicht der Dinge Gehör
fände. Dabei hielt das Finanzministerium mit bemerkenswerter Beharrlichkeit
an seiner Strategie fest, ob- wohl ihm immer mehr handfeste Belege für
Korruption vorlagen. Die Korruption war kein Geheimnis gewesen: Es wurde
offen darüber gesprochen, ob Jelzins Ministerpräsident, Viktor
Tschernomyrdin, während seiner Zeit als Chef von Gasprom, dem staatlichen
Gasmonopolisten, eine oder fünf Milliarden Dollar für sich abgezweigt
hatte. Auch das Finanzministerium muss von dieser Korruption gewusst haben.
Für viele war das erwähnte loans-for-share-Privatisieiungsprogramm
- das dazu führte, dass ein paar Oligarchen die Kontrolle über
einen Großteil der gewaltigen Rohstoffvorkommen des Landes erlangten
- der kritische Punkt, an dem die Vereinigten Staaten deutlich ihre Meinung
hätten sagen sollen. In Russland entstand nicht zu Unrecht der Eindruck,
die US-Regierung habe sich mit der Korruption verbündet. Als öffentliche
Geste der Unterstützung lud der stellvertretende Finanzminister Lawrence
Summers den in seiner Heimat verständlicherweise äußerst
unpopulären Anatoli Tschubais, der in der russischen Regierung für
die Privatisierung zuständig war und den loans-for-share-Betrug eingefädelt
hatte, in sein Privathaus ein. Das US-Finanzministerium und der IWF betraten
die politische Bühne in Russland. Indem sich die Vereinigten Staaten,
der IWF und die internationale Staatengemeinschaft so entschieden mit denjenigen
solidarisierten, die am Ruder waren, während gleichzeitig durch die
korrupte Privatisierungspraxis eine Ungleichheit gewaltigen Ausmaßes
geschaffen wurde, haben sie sich unwiderruflich mit einer Politik verbündet,
die bestenfalls die Interessen der Vermögenden auf Kosten des Durchschnittsrussen
förderte.
Als die amerikanischen und europäischen Zeitungen
die Korruption schließlich öffentlich bekannt machten, hörte
sich die Verurteilung durch das US-Finanzministerium halbherzig und fadenscheinig
an. In Wirklichkeit hatte der Leiter der Revisions- stelle der Duma diese
Beschuldigungen schon lange, bevor sie in die Schlagzeilen gerieten, in
Washington vorgebracht. In der Weltbank wurde mir eindringlich nahe gelegt,
mich nicht mit ihm zu treffen, da wir sonst den Eindruck erwecken würden,
seinen Anschuldigungen Glauben zu schenken. Wenn das Ausmaß der Korruption
unbekannt war, so deshalb, weil sich alle die Augen und Ohren zuhielten.
.....
Wirtschaftliche Sonderinteressen in den USA beeinflussen
die Politik in einer Weise, die den allgemeinen nationalen Interessen zuwiderläuft
und das Land in den Ruch der Heuchelei bringt. Die Vereinigten Staaten
unterstützen den Freihandel, doch wenn ein armes Land ein einheimisches
Produkt in die USA exportieren möchte, gewinnen protektionistische
Interessen allzu oft die Oberhand. Diese inländischen Arbeitsmarkt-
und Geschäftsinteressen benutzen die zahlreichen Handelsgesetze, die
offiziell unter der Bezeichnung »Gesetze gegen unlautere Handelspraktiken«
firmieren, aber im Ausland oft als »Gesetze über unlautere Han-
delsbeschränkungen« bezeichnet werden, um unüberwindbare
Importschranken zu errichten.
Unmittelbar nachdem der Preis für Aluminium
Anfang 1994 stark gefallen war, ereignete sich der gravierendste Fall der
Einmischung von US-Sonderinteressen in Handelsfragen, den ich als Mitglied
der US-Regierung miterlebte. Die amerikanischen Aluminiumproduzenten reagierten
auf den Preisverfall mit dem Vorwurf, Russland verkaufe Aluminium zu Dumpingpreisen.
Jede ökonomische Analyse der Situation belegte zweifelsfrei, dass
Russland kein Dumping betrieb.
.....
Ich wusste, dass die amerikanische Industrie die
Regierung schon bald um Hilfe bitten würde, entweder in Form neuer
Subventionen oder neuer protektionistischer Maßnahmen gegen die ausländische
Konkurrenz. Doch selbst ich staunte nicht schlecht über den Vorschlag
des damaligen Chefs von Alcoa, ein weltweites Aluminiumkartell zu gründen.
Er drohte, sich auf US-amerikanische Antidumping-Gesetze zu berufen, um
russisches Aluminium so lange vom amerikanischen Markt zu verbannen, bis
das Kartell gegründet war.
.....
Bei einer turbulent verlaufenden Sitzung hochrangiger
US-Ministerialer wurde grünes Licht gegeben für die Gründung
eines internationalen Kartells.
......
Reformer innerhalb der russischen Regierung lehnten
die Gründung des Kartells entschieden ab und hatten mir ihre Haltung
persönlich mitgeteilt. Sie wussten, dass die mengenmäßigen
Beschränkungen, die das Kartell verhängen würde, den Ministerien,
die unter dem alten Regime eine Schlüsselfunktion innehatten, wieder
mehr Macht geben würden.
.....
Obgleich es mir gelungen war, fast alle von den
Gefahren der Kartelllösung zu überzeugen, gaben zwei Stimmen
den Ausschlag. Das US-Außenministerium mit seinen engen Beziehungen
zu den altkommunistischen Kaderministerien unterstützte die Gründung
eines Kartells. Dem State Department geht Ordnung über alles, und
Kartelle schaffen Ordnung. Die dem alten Regime verhafteten Ministerien
hatten natürlich von Anfang an nichts von dieser marktwirtschaftlichen
Umstellung gehalten, und die Erfahrung mit dem Aluminium bestätigte
ihre Auffassung. Rubin, der damals den Nationalen Wirtschaftsrat leitete,
spielte eine entscheidende Rolle und stellte sich auf die Seite des State
Department. Der "Aluminiumfall" bewies, dass die US-Regierung bei einem
Konflikt zwischen Grundsätzen und lautstarken Sonderinteressen letzteren
den Vorzug gab.
Das Aluminiumkartell war weder der erste noch der
letzte Fall, bei dem sich Sonderinteressen gegen das nationale und globale
Ziel einer erfolgreichen Transformation durchsetzten. In der Zeit des Wechsels
von der Bush- zur Clinton-Administration schlössen Russland und die
Vereinigten Staaten ein historisches Abrüstungsabkommen. Ein US-Staatsunternehmen,
die United States Enrichment Corporation (USEC), sollte russisches Uran
aus ausgemusterten Atomsprengköpfen aufkaufen und in die Vereinigten
Staaten transportieren. Das Uran sollte abgereichert werden, damit es nicht
länger kernwaffentauglich war, und anschließend in Kernkraftwerken
verwendet werden. Der Verkauf sollte Russland dringend benötigte Gelder
verschaffen, um sein Kernmaterial besser zu kontrollieren. So unglaublich
es erscheinen mag, beriefen sich gewisse Kreise ein weiteres Mal auf das
Gesetz gegen unlautere Handelspraktiken. Die amerikanischen Uranproduzenten
behaupteten. Russland verkaufe Uran zu Dumpingpreisen auf den US-Märkten.
.....
Als der Import von Uran zu Abrüstungszwecken
durch die US-Regierung von amerikanischen Uranproduzenten auf der Grundlage
des Gesetzes gegen unlautere Handelspraktiken angefochten wurde, zeigte
sich, dass dieses Gesetz geändert werden musste. Das Wirtschaftsministerium
und der US-Handelsbeauftragte wurden - durch Überzeugungsarbeit auf
höchster Ebene - schließlich dazu gebracht, Änderungsanträge
zu diesem Gesetz im Kongress einzubringen. Der Kongress lehnte die Änderungsanträge
jedoch ab. Ich bin mir bis heute nicht sicher, ob das Wirtschaftsministerium
und der Handelsbeauftragte die Bemühungen um eine Gesetzesänderung
dadurch sabotierten, dass sie den Antrag dem Kongress in einer Weise zuleiteten,
der die Abstimmungsniederlage unvermeidlich machte, oder ob sie gegen einen
Kongress kämpften, der von jeher eine entschieden protektionistische
Haltung eingenommen hat. Ebenso verblüffend war das, was als Nächstes
geschah. Zum großen Missvergnügen der Reagan- und Bush-Administrationen
lagen die USA im Privatisierungswettstreit der achtziger Jahre weit zurück.
.....
Schließlich verfielen die Befürworter
der Privatisierung in den USA ausgerechnet auf ein Unternehmen, das kaum
ein anderes Land hätte privatisieren wollen: die USEC, die Uran für
Kernreaktoren, aber auch für Atombomben anreichert.
.....
Noch gravierender war freilich, dass der Wirtschaftssachverständigenrat
in einem Gutachten die Anreize einer privatisierten USEC analysiert und
überzeugend dargelegt hatte, dass das Unternehmen größtes
Interesse daran hätte, das russische Uran nicht in die USA zu bringen.
.....
Die USEC versicherte nachdrücklich, dass
sie niemals übergeordneten US-Interessen zuwiderhandeln werde und
dass sie das russische Uran so schnell in die USA schaffen werde, wie es
die Russen verkauften. Doch in derselben Woche, in der die Unternehmensleitung
dies feierlich beteuerte, erlangte ich Kenntnis von einem Geheimabkommen
zwischen der USEC und der zuständigen russischen Behörde. Russland
hatte angeboten, seine Lieferungen zu verdreifachen, und die USEC hatte
das nicht nur abgelehnt, sondern auch ein hübsches Sümmchen »Schweigegeld«
bezahlt, um das Angebot (und die Ablehnung durch die USEC) geheim zu halten.
.....
Unsere Prognose, die Privatisierung werde negative
Auswirkungen auf den Import von angereichertem Uran aus Russland haben,
erwies sich leider als völlig zutreffend. Tatsächlich schien
es zu einem Zeitpunkt so, als kämen sämtliche Exporte in die
USA zum Erliegen. Zu guter Letzt verlangte die USEC gigantische Subventionen,
um den Import fortzusetzen. Das rosige wirtschaftliche Bild, das die USEC
(und das US-Finanzministerium) gezeichnet hatten, erwies sich als falsch,
und Investoren waren verärgert, als der Aktienkurs einbrach.
.....
DIE ANDERE AGENDA DES IWF
.....
Es ist vielleicht nicht verwunderlich, dass mangelnde
Kohärenz zu einer Vielzahl von Problemen führte. Die Frage aber
ist, wie es zu dieser mangelnden Kohärenz kam. Und weshalb wiederholt
sich die Inkohärenz bei jeder neuen Krise, obwohl die Probleme aufgezeigt
wurden? Dies lässt sich teilweise damit erklären, dass der IWF
mit verzwickten Problemen konfrontiert ist, die Welt ist komplex, und die
Volkswirte des Fonds sind Praktiker, die sich darum bemühen, schwierige
Entscheidungen möglichst schnell zu treffen, statt wie Wissenschaftler
in kontemplativer Beschaulichkeit nach begrifflicher Kohärenz und
Konsistenz zu streben. Aber ich glaube, es gibt noch einen fundamentaleren
Grund: Der IWF verfolgt nicht nur die Ziele, die in seinem ursprünglichen
Mandat festgelegt sind, nämlich die Förderung globaler Stabilität
und die Versorgung von Mitgliedsländern, die von einer Rezession bedroht
sind, mit den nötigen Mitteln zur Finanzierung einer Wachstamspolitik.
Er ist auch Sachwalter der Interessen der Finanzwelt. Dies bedeutet, dass
der IWF Ziele verfolgt, die sich oft gegenseitig widersprechen.
Das Spannungsverhältnis ist umso größer,
als dieser Konflikt nicht offen gelegt werden darf: Wenn die neue Rolle
des IWF öfentlich zugegeben würde, würde die Unterstützung
für diese Institution möglicherweise schwinden, und diejenigen,
denen es gelungen ist, das Mandat zu ändern, war dies zweifellos bewusst.
Daher musste das neue Mandat so bemäntelt werden, dass es wenigstens
oberflächlich mit dem alten Mandat in Einklang zu stehen schien. Eine
grob vereinfachende Marktideologie lieferte den Mantel, hinter dem das
eigentliche Geschäft des »neuen« Mandats betrieben werden
konnte. Auch wenn die Änderung des Mandats und der Ziele des IWF im
Stillen erfolgte, so war sie doch keine Kleinigkeit: Statt den Interessen
der Weltwirtschaft sollte er fortan den Interessen der internationalen
Finanzwelt dienen. Und obgleich die Liberalisierung der Kapitalmärkte
nicht die Stabilisierung der Weltwirtschaft fördert, so erschließt
sie der Wall Street doch riesige neue Märkte.
Betrachtet man die Politik des IWF von dieser Warte,
dann wirdverständlicher, wieso er der Erfüllung der Forderungen
ausländischer Gläubiger größeres Gewicht beimisst
als der Erhaltung der Solvenz möglichst vieler inländischer Unternehmen.
Der IWF mag nicht zum Inkassobüro der G-7-Staaten geworden sein, aber
er hat alles darangesetzt (wenn auch nicht immer erfolgreich), dass die
Forderungen der Gläubiger aus den G-7-Ländern erfüllt wurden.
.....
Der IWF befürchtete, dass Insolvenzen dadurch,
dass sie gegen den heiligen Grundsatz »pacta sunt servanda«
verstießen, den Kapitalismus untergraben würden. Doch hier irrte
er sich gleich in mehrfacher Hinsicht. Der Konkurs ist ein ungeschriebener
Bestandteil jedes Kreditvertrags; das Gesetz bestimmt, was geschieht, wenn
der Schuldner den Gläubiger nicht befriedigen kann. Der Konkurs verstößt
nicht gegen die Unverletzlichkeit des Kreditvertrags. Doch es gibt noch
einen weiteren, ebenso wichtigen, ungeschriebenen Vertrag, nämlich
den zwischen den Bürgern und dem Staat, auch Gesellschaftsvertrag
genannt. Dieser Vertrag verlangt eine soziale und ökonomische Grundsicherung
einschließlich der Gewährleistung hinreichender Beschäftigungsmöglichkeiten.
Während der IWF in seinem verfehlten Selbstverständnis die Unverletzlichkeit
des Kreditvertrags unbedingt gewährleisten möchte, nimmt er die
Aushöhlung des noch wichtigeren Gesellschaftsvertrags bereitwillig
in Kauf. Letztlich ist es die Politik des IWF - einschließlich der
mit öffentlichen Geldern finanzierten bail-outs -, die den Markt und
die langfristige Stabilität der Wirtschaft und Gesellschaft untergräbt.
Es ist daher verständlich, dass der IWF und
die Strategien, die er Ländern in der ganzen Welt aufzwingt, auf so
heftige Ablehnung stoßen. Die Milliarden von Dollar, die er bereitstellt,
dienen dazu, den Wechselkurs für kurze Zeit auf einem langfristig
nicht haltbaren Niveau abzustützen; unterdessen können die Ausländer
und die Reichen ihr Geld (durch die offenen Kapitalmärkte, die der
IWF den Ländern aufoktroyiert hat) zu günstigeren Bedingungen
außer Landes schaffen. Für jeden Rubel, für jede Rupie
und für jeden Cruzeiro erhalten die Inländer mehr Dollar, solange
der Kurs gestützt wird. Mit diesen Milliarden werden vielfach die
Forderungen ausländischer Gläubiger erfüllt, auch wenn es
sich um private Schulden handelt. Private Verbindlichkeiten werden so faktisch
in öffentliche Verbindlichkeiten überführt.
.....
Wenn man den IWF als eine Institution betrachtet,
die eine Politik im Interesse der privaten Gläubiger betreibt, werden
auch andere IWF-Strategien plötzlich verständlicher. Wir erwähnten
bereits die große Beachtung, die der IWF dem Handelsbilanzdefizit
schenkt und wie die den ostasiatischen Ländern verordnete rigorose
Sparpolitik zu einer raschen Verringerung der Importe und einer massiven
Auffüllung der Währungsreserven führte.
.....
Aus der Sicht der Gläubiger funktionierte
die Politik bemerkenswert schnell: In Korea stiegen die Währungsreserven
von praktisch null auf 97 Milliarden Dollar im Juli 2,001, in Thailand
von einem negativen Ausgangsstand auf 31 Milliarden Dollar im Juli 2001.
Für die Gläubiger war dies natürlich eine frohe Botschaft:
Sie konnten jetzt sicher sein, dass Korea die Dollar hatte, um Kredite
zurückzuzahlen, falls die Gläubiger dies verlangen sollten.
.....
Die Tatsache, dass der IWF die Interessen der
Finanzwelt berücksichtigt, erklärt auch einen Teil seiner defensiven
Rhetorik. In der Ostasien-Krise machten der IWF und das US-Finanzministerium
schon bald die Schuldnerländer, insbesondere ihre mangelnde Transparenz
für die Probleme, verantwortlich.
.....
Es gab viele Länder, die weit weniger transparent
waren als Korea, Malaysia und Indonesien und die keine Krise erlebten.
Wäre Transparenz der Schlüssel zu ökonomischer Stabilität,
dann hätten die ostasiatischen Länder in der Vergangenheit mehr
Krisen haben müssen, da die Daten zeigten, dass sie transparenter
wur- den. Ungeachtet der angeblichen Defizite hinsichtlich Transparenz
hatte sich Ostasien nicht nur durch ein bemerkenswertes Wachstum, sondern
auch durch eine bemerkenswerte Robustheit ausgezeichnet. Wenn die Länder
Ostasiens »extrem krisenanfällig « waren, wie der IWF
und das US-Finanzministerium behaupteten, dann war es eine neu erworbene
Anfälligkeit, die nicht auf erhöhter Intransparenz, sondern auf
einem anderen vertrauten Faktor beruhte: der übereilten Liberalisierung
der Kapital- und Finanzmärkte, die der IWF diesen Ländern aufgezwungen
hatte. Im Rückblick gab es einen "transparenten" Grund, auf Transparenz
zu pochen: So konnten die Finanzwelt, der IWF und das US-Finanzministerium
die Verantwortung von sich abwälzen, um die Vertrauenskrise, in die
sie geraten waren, unbeschadet zu überstehen. Schuld waren die wirtschaftspolitischen
Maßnahmen, auf die der Fonds und das US-Finanzministerium in Ostasien,
Russland und andernorts gedrängt hatten: Die Kapitalmarktliberalisierung
hatte zu einer destabilisierenden Spekulation geführt und die Finanzmarktliberalisierung
zu einer schlechten Kreditvergabepraxis. Als die Beistandsprogramme nicht
die verheißenen Erfolge zeitigten, besaß der IWF einen noch
stärkeren Anreiz, die Verantwortung von sich zu schieben und zu behaupten,
das eigentliche Problem liege bei den Krisenländern.
.....
Auch den internationalen Banken kam es sehr zupass,
die Verantwortung abwälzen zu können. Sie wollten den Kreditnehmern
und den zweifelhaften Kreditvergabepraktiken der thailändischen und
südkoreanischen Banken, die mit dem stillschweigenden Einverständnis
der korrupten Regierungen ihrer Länder notleidende Kredite anhäuften,
den Schwarzen Peter zuschieben - und wieder schlössen sich IWF und
US-Finanzministerium ihrem Angriff an. Von Anfang an hätte man den
Argumenten von IWF und US-Finanzministerium skeptisch gegenüberstehen
sollen. Trotz ihrer Bemühungen, den großen internationalen Kreditgebern
aus der Klemme zu helfen, ist es doch eine unumstößliche Tatsache,
dass es bei jedem Kredit einen Kreditnehmer und einen Kreditgeber gibt.
Wenn von vornherein feststeht, dass der Kredit mit hoher Wahrscheinlichkeit
notleidend wird, trifft die Schuld ebenso den Kreditgeber wie den Kreditnehmer.
Außerdem haben Banken in den westlichen Industrieländern Kredite
an große koreanische Firmen vergeben, obwohl sie ganz genau
wussten, dass viele
von ihnen hoch verschuldet waren. Die notleidenden
Kredite waren das Ergebnis von Fehlurteilen, nicht von Pressionen seitens
der US-Regierung oder anderer westlicher Regierungen, und sie kamen trotz
der vermeintlich guten Risikomanagement-Instrumente der westlichen Banken
zu Stande. Kein Wunder, dass diese Großbanken sich selbst aus der
Schusslinie bringen wollten. Der IWF hatte allen Grund, sie zu unterstützen,
denn den IWF traf eine Mitschuld. Wiederholte bail-outs des IWF hatten
dazu beigetragen, dass Kreditgeber nicht die verkehrsübliche Sorgfalt
walten ließen.
Es stand noch etwas anderes auf dem Spiel: Anfang
der neunziger Jahre hatte das US-Finanzministerium den globalen Triumph
des Kapitalismus verkündet. Zusammen mit dem IWF hatte es den Ländern,
die die »richtige Wirtschaftspolitik« - entsprechend den Leitlinien
des »Washington Consensus« - betrieben, sicheres Wirtschaftswachstum
verheißen. Die Ostasienkrise ließ Zweifel an dieser neuen Weltsicht
aufkommen - es sei denn, man zeigte, dass nicht der Kapitalismus das Problem
war, sondern die asiatischen Länder und ihre schlechte Politik. Der
IWF und das US-Finanzministerium mussten behaupten, das Problem seien nicht
die Reformen - zuvörderst die Liberalisierung der Kapitalmärkte,
dieser heiligste Glaubensartikel -, sondern die Tatsache, dass die Reformen
nicht weit genug vorangetrieben worden seien. Indem sie die Aufmerksamkeit
auf die Schwächen der Krisenländer richteten, lenkten sie nicht
nur von ihren eigenen Fehlern ab - den Fehlern ihrer Politik und Kreditvergabe
-, sondern sie versuchten auch, die Ereignisse zu nutzen, um ihre eigene
Agenda weiter voranzubringen.
.....
!! Obwohl noch ein paar
wirklich interessante Aussagen folgen, ist meiner Meinung nach das Wichtigste
gesagt. Daher folgt der Rest nur noch in einer etwas "losen Aneinanderreihung"
!!
WAS ZU TUN BLEIBT
.....
Die Globalisierung in ihrer heutigen Form ist
keine Erfolgsgeschichte. Sie hat das Schicksal der meisten Armen in der
Welt nicht gelindert. Sie ist ökologisch bedenklich. Sie hat die Weltwirtschaft
nicht stabilisiert. Und bei der marktwirtschaftlichen Transformation der
Zentralverwaltungswirtschaften wurden so viele Fehler gemacht, dass, mit
Ausnahme von China, Vietnam und einigen osteuropäischen Ländern,
die Armut sprunghaft anstieg und die Einkommen stark zurückgingen.
Manche sehen einen einfachen Ausweg: Sie wollen die Globalisierung begraben.
Doch das ist weder machbar noch wünschenswert. Denn die Globalisierung
hat auch sehr segensreiche Wirkungen entfaltet: Der Erfolg Ostasiens basiert
auf der Globalisierung, insbesondere dem Abbau von Handelsschranken und
dem verbesserten Zugang zu Märkten und Technologie. Die Globalisierung
hat vielfach die gesundheitliche Versorgung verbessert und eine aktive
globale Zivilgesellschaft hervorgebracht, die für mehr Demokratie
und größere soziale Gerechtigkeit kämpft. Nicht die Globalisierung
ist das Problem, sondern die Art und Weise, wie sie umgesetzt wurde. Und
ein Teil des Problems liegt bei den internationalen Wirtschaftsinstitutionen,
dem IWF, der Weltbank und der WTO, die die "Spielregeln" der Globalisierung
festlegen. Sie haben dies in einer Weise getan, die allzu oft mehr den
Interessen der Industriestaaten - genauer: bestimmten Partikularinteressen
in diesen Ländern - als denen der Dritten Welt diente.
.....
Interessen und Ideologie
Während die Strategien des Internationalen
Währungsfonds von Finanzinteressen dominiert werden, geben bei der
Welthandelsorganisation Handelsinteressen den Ausschlag. So wie der IWF
den sozialen Belangen der Armen kaum Beachtung schenkt - für die Erfüllung
der Forderungen von Privatbanken werden Milliarden von Dollar bereitgestellt,
aber die lächerlichen Summen zur Subventionierung von Nahrungsmitteln
für diejenigen, die infolge der IWF-Programme arbeitslos werden, lassen
sich nicht auftreiben -, stellt die WTO den freien Handel über alles.
Wer den Einsatz von Netzen zum Garnelenfang verbieten lassen will, weil
als Beifang auch Meeresschildkröten ins Netz gehen und in ihrem Bestand
gefährdet werden, muss sich von der WTO sagen lassen, ein solches
Verbot stelle einen ungerechtfertigten Eingriff in den freien Handel dar.
Er muss feststellen, dass Handelsinteressen vor allen anderen Belangen
einschließlich Umweltschutz rangieren!
.....
Ausschlaggebend sind nicht die Institutionen an
sich, sondern die Einstellungen, die ihnen zugrunde liegen: Der Schutz
der Umwelt, der Wille, den Armen ein Mitspracherecht bei Entscheidungen
einzuräumen, die sie betreffen, die Förderung von Demokratie
und fairem Handel sind notwendig, wenn die Verheißungen der Globalisierung
eingelöst werden sollen. Das Problem besteht darin, dass die Institutionen
mittlerweile die Einstellungen derer übernommen haben, denen sie rechenschaftspflichtig
sind. Dem typischen Zentralbankpräsidenten bereitet die Inflationsstatistik
Kopfzerbrechen, nicht die Armutsstatistik, und der Wirtschaftsminister
interessiert sich vor allem für die Exportzahlen, nicht für Umweltschutzindizes.
.....
Die veränderte Einstellung zur Globalisierung
muss eine Neubewertung der Rolle von Staat und Markt beinhalten, die die
ökonomischen Belange in einen umfassenderen sozialen und politischen
Kontext stellt. Nicht genug damit, dass ökonomische Belange allem
anderen übergeordnet werden, auch eine bestimmte Konzeption der Wirtschaft
- die Ideologie der reinen Marktwirtschaft - wird allen anderen Konzeptionen
übergeordnet. Der Widerstand gegen die Globalisierung in vielen Teilen
der Welt gilt nicht der Globalisierung als solcher - den neuen Möglichkeiten,
Wachstum zu finanzieren, oder dem Zugang zu neuen Exportmärkten -,
sondern einer bestimmten Doktrin, den wirtschaftspolitischen Leitlinien
des »Washington Consensus«, die die internationalen Finanzinstitutionen
propagieren. Und der Widerstand richtet sich nicht nur gegen diese Leitlinien
als solche, sondern gegen die Vorstellung, es gebe nur das eine, allein
selig machende Konzept. Dies widerspricht nicht nur der Wirtschaftstheorie,
die die Bedeutung von Tradeoffs - also Konflikten zwischen wider- streitenden
Zielen - betont, sondern auch dem gesunden Menschenverstand. In unseren
eigenen Demokratien führen wir leb- hafte Debatten über Dinge
wie die geeignete Ausgestaltung von Konkursgesetzen oder die Privatisierung
der Sozialversicherung. Die meisten anderen Länder der Welt haben
das Gefühl, keine eigenen Entscheidungen treffen zu können, ja
sogar zu Entscheidungen gezwungen zu sein, die Länder wie die Vereinigten
Staaten für sich selbst abgelehnt haben.
.....
Governance
Bislang haben wir die Fehlschläge der Globalisierung
auf die Tatsache zurückgeführt, dass sich die internationalen
Wirtschaftsinstitutionen bei den festgelegten Spielregeln offenbar von
Handels- und Finanzinteressen leiten ließen. Eine ganz bestimmte
Sicht- weise der Rolle von Staat und Markt setzte sich durch - eine Sichtweise,
die innerhalb der Industrieländer nicht einhellig geteilt wird, die
jedoch den Entwicklungs- und Transformationsländern aufgezwungen wird.
Die Frage ist, wie es dazu kam. Und die Antwort ist nicht schwer zu finden:
Es sind die Finanzminister und Zentralbankpräsidenten, die die Grundsatzentscheidungen
beim IWF treffen, und das Gleiche gilt für die Wirtschaftsminister
bei der WTO.
.....
Um die Globalisierung so zu gestalten, dass ihre
Früchte gleichmäßiger verteilt werden, bedarf es vor allem
einer grundlegenden Revision des governance-Systems - also der Leitungs-
und Aufsichtsstrukturen (der internationalen Wirtschaftsinstitutionen).
Hierzu müssen beim IWF und bei der Weltbank die Stimm- rechte neu
verteilt werden und bei allen internationalen Wirtschaftsinstitutionen
Veränderungen sicherstellen, dass bei der WTO nicht nur die Stimmen
der Wirtschaftsminister und bei IWF und Weltbank nicht nur die Stimmen
der Finanzminister Gehör finden. Diese Veränderungen werden sich
nicht leicht durchsetzen lassen. Die Vereinigten Staaten werden ihr faktisches
Veto beim IWF nickt aufgeben. Und die Industriestaaten werden nicht auf
Stimmrechte verzichten, um den Entwicklungsländern mehr Stimmrechte
einzuräumen. Sie werden sogar fadenscheinige Argumente vorbringen:
Die Stimmrechte werden wie bei Aktiengesellschaften auf der Basis der Kapitaleinlagen
zugeteilt. China ist schon seit langem bereit, seine Kapitaleinlage zu
erhöhen, um so mehr Stimmrechte zu erhalten. US-Finanzminister O'Neill
versucht den Eindruck zu erwecken, es seien die amerikanischen Steuerzahler,
die Klempner und Zimmerer, die die milliardenschweren Stützungspakete
bezahlten - und weil sie die Kosten trügen, sollten sie auch die entsprechenden
Stimmrechte besitzen; aber das stimmt nicht. Das Geld kommt letztlich von
den Arbeitern und anderen Steuerzahlern in den Entwicklungsländern,
denn die Kredite des IWF werden fast immer zurückgezahlt.
.....
Transparenz
Abgesehen von einer grundlegenden Revision ihres
governance-Systems ist mehr Offenheit und Transparenz die wichtigste Gewähr
dafür, dass die internationalen Wirtschaftsinstitutionen die Anliegen
der Armen, die Umwelt und allgemeine politische und soziale Belange stärker
berücksichtigen. Für uns spielt eine informierte und freie Presse
eine wichtige Rolle bei der Kontrolle unserer demokratisch gewählten
Regierungen: Jeder Missstand, jede noch so kleine Indiskretion, jede Günstlingswirtschaft
wird kritisch unter die Lupe genommen, und die öffentliche Meinung
kann einen mächtigen Druck ausüben. Transparenz ist in öffentlichen
Institutionen wie dem IWF, der Weltbank und der WTO sogar noch wichtiger,
weil ihre Führungsspitze nicht direkt ge- wählt wird. Obgleich
es öffentliche Einrichtungen sind, besteht keine direkte Rechenschaftspflicht
gegenüber der Öffentlichkeit. Das Problem der mangelnden Transparenz
betrifft in unterschiedlicher Weise alle internationalen Institutionen.
Die Welthandelsorganisation verhandelt über Abkommen hinter verschlossenen
Türen, so dass für die Öffentlichkeit kaum ersichtlich ist,
welchen Einfluss Unternehmens- und andere Sonderinteressen nehmen. Die
Beratungen dieser Gremien, die darüber entscheiden, ob ein Verstoß
gegen ein WTO-Abkommen vorliegt, werden ebenfalls unter Ausschluss der
Öffentlichkeit geführt.
.....
Als Mitglied des Sachverständigenrats von
Präsident Clinton hatte ich die Macht der Verschwiegenheit selbst
erlebt und verstanden. Verschwiegenheit ermöglicht Regierungsvertretern
jene Art von Diskretion, die sie nicht hätten, wenn ihre Handlungen
öffentlich diskutiert würden. Verschwiegenheit erleichtert nicht
nur das Leben, sondern es erlaubt auch Sonderinteressen, ihren ganzen Einfluss
ungestört geltend zu machen. Verschwiegenheit dient auch dazu, Fehler
zu verbergen, gleich ob sie harmlos sind oder nicht und gleich ob sie das
Ergebnis einer mangelnden gedanklichen Analyse sind oder nicht. Wie heißt
es doch so treffend: "Sonnenschein ist das beste Antiseptikum.« Diese
Verschwiegenheit und der Argwohn, den sie schürt, leisteten der Protestbewegung
Vorschub. Die Demonstranten forderten mehr Offenheit und Transparenz. Diese
Forderungen stießen auf besondere Resonanz, denn der IWF selbst hatte
während der Ostasienkrise die Bedeutung von Transparenz betont. Die
rhetorische Betonung von Transparenz durch den IWF führte unabsichtlich
dazu, dass sich der Scheinwerfer der Transparenz auf den IWF selbst richtete
- mit dem Ergebnis, dass bei ihm nichts davon zu sehen war.
.....
Reformvorhaben
Im Anschluss an die Ostasienkrise und das Scheitern
der IWF- Programme bestand allgemeines Einvernehmen darüber, dass
etwas mit dem Weltwirtschaftssystem nicht stimmen konnte und dass etwas
getan werden musste, um die Weltwirtschaft zu stabilisieren. Viele der
Verantwortlichen im US-Finanzministerium und beim IWF waren jedoch der
Meinung, dass es nur geringfügiger Änderungen bedürfe. Um
die Belanglosigkeit der Veränderungen zu kaschieren, gaben sie der
Reforminitiative den
hochtrabenden Titel Reform der Weltfinanzarchitektur.
Diese Bezeichnung sollte suggerieren, man beabsichtige weitreichende Änderungen
der Spielregeln, um künftige Krisen zu verhindern. Die Rhetorik verbarg
wirkliche Probleme. So wie die Verantwortlichen des IWF alles taten, um
von ihren Fehlern und syste- mischen Problemen abzulenken, so taten sie
auch alles, um die Reformen zu unterlaufen, es sei denn, diese brachten
dem IWF mehr Befugnisse und mehr Geld und erlegten den Schwellenländern
weitere Verpflichtungen auf (wie etwa die Einhaltung neuer, von den entwickelten
Industrieländern festgelegter Standards). Bei der »offiziellen«
Reformdebatte geben weithin jene Institutionen und Regierungen den Ton
an, die seit über fünfzig Jahren die Globalisierung »gestalten«.
Weltweit wird die Reformdebatte heute mit unverhohlenem Zynismus begleitet.
Die Vertreter der Entwicklungsländer, die denselben Personen gegenübersitzen,
die von Beginn an für das System verantwortlich sind, fragen sich,
ob es zu echten Veränderungen kommen würde. Was diese »Klientenländer«
anlangte, war es eine Farce, in der die Politiker so tun, als unternähmen
sie etwas gegen die bestehenden Ungleichheiten.
.....
In den Organisationen selbst herrscht bei vielen
einflussreichen Mitgliedern eine bemerkenswerte Selbstzufriedenheit. Die
Institutionen haben ihre Rhetorik geändert. Sie sprechen über
Transparenz, Armut und Partizipation.
.....
Doch auch wenn die Veränderungen den Mitgliedern
der Institutionen tief greifend erscheinen: mögen, kratzen sie doch
nur an der Oberfläche.
.....
Sie versuchen, kritische Berichte unter Verschluss
zu halten; oft ist es nur ihre Unfähigkeit, Indiskretionen zu verhindern,
die schließlich die Offenlegung erzwingt. In den Entwicklungsländern
herrscht eine wachsende Unzufriedenheit mit den neuen Programmen, die gemeinsame
Armutsberichte vorsehen, da den Teilnehmern von vornherein gesagt wird,
dass wichtige Belange, wie die gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen,
nicht zur Diskussion stünden."
.....
Schuldenerlass
.....
Die Frage der moralischen Verantwortung der Gläubiger
stellte sich mit besonderer Brisanz bei den »geopolitischen«
Krediten, die während des Kalten Kriegs vergeben wurden. Als IWF und
Weltbank dem berüchtigten Staatschef der Demokratischen Republik Kongo,
Mobutu, Kredite zusagten, wussten sie (oder hätten es zumindest wissen
müssen), dass der größte Teil des Geldes nicht den Armen
zugute kommen, sondern auf die Konten Mobutus fließen würde.
Dieses Geld war sozusagen der Preis dafür, dass dieser korrupte Diktator
dem Westen die Treue hielt. Viele halten es für ungerecht, dass gewöhnliche
Steuerzahler in Ländern mit korrupten Regierungen Kredite zurückzahlen
müssen, die einer politischen Führung gewährt wurden, die
sie nicht repräsentierte.
.....
Die weltweiten Proteste gegen die Globalisierung
begannen bei den WTO-Tagungen in Seattle, weil die WTÖ das offensichtlichste
Symbol der globalen Ungerechtigkeiten und der Heuchelei der Industrieländer
ist. Während sie die Öffnung der Märkte in den Entwicklungsländern
für ihre Industrieerzeugnisse predigten und erzwangen, schotteten
sie ihre Märkte weiterhin gegen Produkte der Entwicklungsländer
wie Textilien und Agrarerzeugnisse ab. Während sie den Entwicklungsländern
predigten, ihre Wirtschaftszweige nicht zu subventionieren, unterstützten
sie ihre eigenen Landwirte weiterhin mit Milliardenbeträgen, so dass
die Entwicklungsländer nicht mithalten konnten. Während die Vereinigten
Staaten über die Segnungen freier Märkte predigten, setzten sie
sich energisch für globale Kartelle bei Stahl und Aluminium ein, sobald
inländische Wirtschaftszweige durch Importe bedroht .wurden. Die Vereinigten
Staaten drängten auf die Liberalisierung der Finanzdienstleistungen,
aber sie widersetzten sich einer Liberalisierung jener Dienstleistungssektoren,
in denen die Entwicklungsländer stark sind, nämlich Bauwirtschaft
und Schiffsbau und Seetransport. Wie bereits erwähnt, ist das System
des Welthandels so ungerecht, dass die ärmeren Länder nicht nur
keinen angemessenen Anteil an den Früchten erhalten, sondern die ärmste
Region der Erde, Afrika südlich der Sahara, nach der letzten Handelsrunde
sogar schlechter dasteht als zuvor.
.....
Eine andere Gefahr, die wir in ihrer Tragweite
nicht richtig ermaßen, ist die so genannte »Biopiraterie«:
Internationale Pharmakonzerne lassen sich Wirkstoffe aus der traditionellen
Medizin patentieren. Nicht genug damit, dass sie mit » Ressourcen
« und Wissen Geld machen wollen, deren rechtmäßige Eigentümer
die Entwicklungsländer sind, sie versuchen obendrein auch noch, die
Firmen in jenen Ländern, die diese traditionellen Medikamente anbieten,
aus dem Markt zu drängen. Obgleich diese Patente vor Gericht möglicherweise
kei- nen Bestand hätten, haben die Entwicklungsländer weder die
juristischen noch die finanziellen Mittel, um das Patent gerichtlich anzufechten.
Das Problem sorgt in der Dritten Welt für erheblichen Unmut und weckt
die Angst vor möglichen ökonomischen Verlusten. Ich besuchte
unlängst ein Dorf in den ecuadorianischen Anden, und selbst dort wetterte
der Bürgermeister, ein Indio, gegen die Globalisierung und die damit
einhergehende Biopiraterie.
.....
Für eine Globalisierung mit menschlichem
Antlitz
.....
Die Ideologie der freien Marktwirtschaft muss
durch objektive volkswirtschaftliche Analysen und eine ausgewogenere Sicht
der Rolle des Staates, die sowohl Markt- als auch Staatsversagen berücksichtigt,
ersetzt werden, und wir müssen die Rolle externer Berater hinterfragen.
Die internationalen Institutionen müssen die Folgen und Risiken, die
mit alternativen Strategien verbunden sind, identifizieren, und sie dürfen
widerstrebenden Ländern keine wirtschaftspolitischen Maßnahmen
aufzwingen, sie müssen die Demokratie fördern, statt sie zu untergraben,
und sie müssen nicht nur Wirtschaftswachstum, sondern auch soziale
Gerechtigkeit begünstigen. Wachstum um seiner selbst willen ist nicht
genug. Wir brauchen Strategien für ein nachhaltiges, gerechtes und
demokratisches Wachstum. Das ist schließlich das Ziel der Entwicklungspo-
litik. Entwicklung kann nicht darin bestehen, ein paar Menschen reich zu
machen oder eine Hand voll geschützter Wirtschafts- zweige zu schaffen,
die gesamtwirtschaftlich sinnlos sind und nur der Elite des Landes zugute
kommen; sie kann nicht darin beste- hen, die reichen Städter mit Prada
und Benetton zu beglücken und die armen Landbewohner ihrem Elend zu
überlassen. Die Möglichkeit, in Moskauer Kaufhäusern Handtaschen
von Gucci zu erstehen, bedeutet nicht, dass Russland zu einer Marktwirtschaft
geworden ist. Entwicklung bedeutet, einen grundlegenden gesellschaftlichen
Wandel anzustoßen, die Lebensbedingungen der Armen zu verbessern,
allen Menschen Zugang zu gesundheitlicher Versorgung und Bildung zu verschaffen
und ihnen die Chance zu geben, mehr aus ihrem Leben zu machen.
Wenn nur ein paar Leute die Wirtschaftspolitik
diktieren, die ein Land befolgen muss, kann diese Art von Entwicklung nicht
stattfinden. Um politische Entscheidungen demokratisch zu legitimieren,
muss man ein breites Spektrum von Volkswirten, Regierungsvertretern und
Experten aus den Entwicklungsländern aktiv an der Debatte beteiligen.
Aber es bedarf darüber hinaus einer umfassenden Mitwirkung und Teilhabe,
die weit über den Kreis von Experten und Politikern hinausgeht.
.....
Heute steht nicht der Erfolg des einen oder anderen
Landes auf dem Spiel, heute geht es um die Zukunft der Weltwirtschaft.
Erst wenn die internationalen Institutionen den vermutlich schmerzhaften
Veränderungsprozess durchlaufen haben, können sie jene Aufgabe
wahrnehmen, die sie eigentlich erfüllen sollten: der Globalisierung
ein menschliches Antlitz zu geben.
- ENDE -
Zur Person:
Joseph Stiglitz ist einer der weltweit bekanntesten
Ökonomen. Er wurde 1943 in den USA geboren, war Professor in Yale,
Princeton, Oxford und Stanford sowie Chefvolkswirt der Weltbank. Heute
lehrt er an der Columbia University in New York. Im Januar 2004 erscheint
sein Buch »Die Roaring Nineties. Jahre des Booms<<
Und aus dem Vorwort
.....
Im Jahr 1993 beendete ich vorläufig meine
akademische Karriere, um Mitglied des Sachverständigenrats von Präsident
Clinton zu werden, der sämtlichen Dienststellen der US-Regierung mit
kompetentem wirtschaftswissenschaftlichem Rat zur Seite stehen sollte.
Nach einer mehrjährigen Tätigkeit in Forschung und Lehre war
dies mein erster größerer Ausflug in die politische Praxis,
genauer: in die Praxis politischer Winkelzüge. Im Jahr 1997 trat ich
dann in die Weltbank ein, in der ich fast drei Jahre lang - bis Januar
2000 - die Position des Chefvolkswirts und Senior Vice President bekleidete.
Ich hätte mir keinen faszinierenderen Zeitpunkt für den Einstieg
in die Politik auswählen können. Die sieben Jahre in Washington
verschafften mir einzigartige, umfassende Einblicke in die Umwandlung der
russischen Planwirtschaft in eine Marktwirtschaft, Einblick vor allem auch
in die Finanzkrise, die 1997 in Ostasien begann und schließlich auf
die ganze Welt übergriff.
.....
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