US-Anthrax für Iraks Kriegsarsenal

Washington und Bagdad kooperierten bei Herstellung von Chemie- und Biowaffen

Tarik Aziz (heute Iraks Vizepräsident) hatte zu Donald Rumsfeld (heute US-Verteidigungsminister) gesagt, daß er bei seinem Besuch in Bagdad in Saddam Hussein einen »bedachten Mann« kennenlernen würde, »der glasklar analysieren und aus Erfahrungen lernen« würde. Als sich Donald Rumsfeld etwas später in Bagdad mit Saddam Hussein traf, übergab er diesem bei der Begrüßungszeremonie »einen Brief des US-Präsidenten« und »gab zugleich seiner Freude Ausdruck, in Bagdad zu sein«. – Die Zitate sind nicht surreal, sondern Bestandteil offizieller Dokumente des US-Außenministeriums aus dem Jahre 1983, die auf Grund des amerikanischen »Informationsfreiheitsgesetzes« auf Anforderung herausgegeben werden mußten und am Dienstag vom amerikanischen Nachrichtensender NBC verbreitet wurden. 

Lange Passagen der Dokumente sind unkenntlich gemacht worden. Was blieb, reicht aus, um ausgerechnet Donald Rumsfeld als jenen Mann zu identifizieren, der ab 1982 als Sonderbeauftragter für den Mittleren Osten des damaligen US-Präsidenten Ronald Reagan unterwegs war. Rumsfeld setzte seinerzeit eine Wende in der US-Politik zur Unterstützung Saddam Husseins im »gemeinsamen« Kampf gegen den fundamentalistisch-revolutionären Iran durch. Dessen Angriffswellen im ersten Golfkrieg (1981 bis 1988) drohten den Irak zu überrollen. 

Seit der Enthüllung durch die New York Times am Sonntag, daß die US-Regierung unter Ronald Reagan und Vizepräsident George Bush (senior) Saddam Hussein in Bagdad während des Iran-Irak-Krieges auch militärisch massiv unterstützt hatte (siehe junge Welt vom 20. August), ist in Washington ein Damm gebrochen. Die von hochrangigen US-Offizieren gegenüber der Zeitung gemachten Angaben wurden durch eine Fülle weiterer Nachrichten und Hinweise aus offiziellen Quellen bestätigt und ergänzt. 

So berichtete der US-Nachrichtensender NBC über eine, bei einem US-Gericht 1995 in einem Fall von Waffenhandel hinterlegte, eidesstattliche Erklärung Howard Teichers, eines ehemaligen hohen Mitarbeiters der amerikanischen Nationalen Sicherheitsagentur (NSA). Er hatte Rumsfeld 1983 nach Bagdad begleitet. Aus seiner Erklärung geht u.a. hervor, daß nach 1983 »CIA-Direktor William Casey persönlich die Anstrengungen leitete, um sicherzustellen, daß Irak nicht den Krieg gegen Iran verlor und ausreichend mit Waffen, Munition und Fahrzeugen versorgt war«. Daß dazu auch wissenschaftlich- technisches Gerät zur Herstellung von Chemiewaffen gehörte, deutete die New York Times nur verschämt an und versuchte auch noch, die ganze Tragweite zu verharmlosen, indem sie schrieb: »Der ehemalige (US) Außenminister Shultz und Vizepräsident Bush (senior) versuchten, den Fluß von chemischen Wegbereitern in den Irak zu bremsen.« 

Daß die US-Regierung sich auch in der irakischen Biowaffenherstellung stark engagierte, geht aus einem Bericht des US-Senats von 1994 hervor, in dem es heißt: »Von 1985 – wenn nicht bereits früher – bis zum Jahre 1989 haben amerikanische Firmen in Übereinstimmung mit dem Reglement für Exporterlaubnisse des Handelsministeriums ein wahres Hexengebräu von biologischen Substanzen in den Irak exportiert«. In dem Bericht werden verschiedene hochgefährliche Substanzen genannt. Aufgelistet wurden zum Beispiel Bacillus anthracis, der Milzbranderreger, und Clostridium botulinum, der Mikroorganismus produziert das stärkste bakterielle Gift. »Diese Substanzen wurden nicht geschwächt, so daß sie zur Reproduktion fähig waren«, fährt der Senatsbericht fort. »Später stellte sich dann heraus, daß diese ursprünglich von den USA exportierten Mikroorganismen mit jenen identisch waren, welche die Inspektoren der Vereinten Nationen aus dem irakischen Biowaffenprogramm entfernt haben.« Die US-Exporte gingen mindestens bis zum 28. November 1989 weiter, d.h. auch nach dem Bekanntwerden von irakischen Chemiewaffenangriffen gegen Iran und gegen die kurdische Zivilbevölkerung im eigenen Land.

http://www.jungewelt.de/2002/08-22/001.php
 
 

Schützenhilfe aus Washington 

USA-Zeitung enthüllte Programm zur Unterstützung Bagdads während des Iran-Irak-Krieges 

»Während der Amtszeit von US-Präsident Ronald Reagan versorgte ein geheimes amerikanisches Programm den Irak mit für die Kriegsführung dringend benötigter Hilfe. Und das zu einer Zeit, als die amerikanischen Nachrichtendienste wußten, daß irakische Kommandeure in entscheidenden Schlachten des Iran-Irak-Krieges (1981-1988) chemische Waffen einsetzten«, berichtete am Sonntag die New York Times (NYT) unter Berufung auf hochrangige US-Offiziere, die »direkte Kenntnis« von dem Programm hatten. Die Bush-Regierung dementierte sofort. Aber es dürfte schwer werden, die Geschichte zu entkräften, denn die Tatsache, daß die Vereinigten Staaten während des Iran-Irak-Krieges Bagdad kräftig mit sogenannter Dual-use-Technology, d. h. mit zivil und militärisch nutzbarer Technologie im Wert von fast einer Milliarde Dollar jährlich beliefert haben, ist schon lange bekannt. Seither halten sich auch hartnäckig Gerüchte, daß die US-Hilfe für Saddam Hussein sich damals nicht darauf beschränkte. Dies scheint nun seine spektakuläre Bestätigung gefunden zu haben. 

»Wenn das stimmt, dann wird das moralische Argument des Weißen Hauses für den Sturz von Saddam Hussein vollkommen untergraben und schlimmstenfalls, so sieht es aus, würde dadurch die amerikanische Heuchelei bloßgestellt«, hieß es am Montag in der britischen Tageszeitung The Independent. Denn das immer wieder vorgetragene Hauptargument der Bush-Regierung ist, daß die USA selbst die potentielle Gefahr eines irakischen Einsatzes von chemischen Waffen nicht hinnehmen könnten und deshalb das Regime in Bagdad notfalls auch mit Krieg und Invasion stürzen müßten. Mit der Meldung der NYT wurde dieses Argument vor der internationalen Öffentlichkeit entkräftet. Viele der so ertappten Kriegstreiber in Washington können sich nicht einmal damit herausreden, daß sie damals nicht dabei waren oder nichts davon gewußt hätten. 

Das geheime US-Hilfsprogramm für die irakische Kriegsführung lief während der ganzen Dauer des Iran-Irak-Krieges, auch in der Zeit, als Präsident Reagans Außenminister George P. Shultz und sein Verteidigungsminister Frank C. Carlucci öffentlich Irak wegen seines Einsatzes von Giftgas verdammten, insgeheim jedoch Saddam Hussein bei dessen Kriegsführung unterstützten. Auch nach dem Gasangriff auf das kurdische Dorf Halabja im März 1988. Flankiert wurden sie dabei vom damals höchsten Offizier, General Colin L. Powell, und Staatssekretär Richard Perle, der derzeit einer der gefährlichsten Scharfmacher ist. 

An dem jetzt enthüllten Programm seien bis zu 60 Offiziere des militärischen Nachrichtendienstes DIA (Defence Intelligence Agency) beteiligt gewesen. Aufgabe sei es gewesen, das Oberkommando der irakischen Streitkräfte ständig mit Satellitendaten und anderen geheimdienstlichen Informationen über Truppenbewegungen und die Schlachtaufstellung der iranischen Armee zu versorgen. Dabei seien diese Informationen für die Kriegsführung des Irak von entscheidender Bedeutung gewesen und hätten schließlich den Sieg Iraks ermöglicht. Die Tatsache, daß die irakischen Streitkräfte dabei gegen ihre meist ungeschützten iranischen Gegner chemische Waffen einsetzten, schien Washington nicht weiter zu stören. Washington hätte den irakischen Einsatz von Giftgas nie befürwortet, aber auch nie verurteilt, meldete NYT. »Während des Iran-Irak-Krieges hatten sich die Vereinigten Staaten entschieden, daß es unbedingt notwendig war, dem Iran eine Lektion zu erteilen, damit es (Teheran) nicht die wichtigen ölproduzierenden Staaten im Golf überrennen konnte«, erklärt die NYT die Doppelbödigkeit der Washingtoner Außenpolitik.
 

http://www.jungewelt.de/2002/08-20/005.php


Siehe auch:
 

  • Das Ausmaß westlicher Unterstuetzung fuer das irakische Regime 
  • Iraqgate-Architektur der Spinnen (Was die Welt über den Golfkrieg schon 1994 erfuhr)

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