Eigener kurzer Kommentar:
Wiedergegeben werden logischerweise lediglich ein paar Ausschnitte um einen "ersten Überblick" zu bekommen. 
Ich kann nur empfehlen, sich das Buch zu kaufen ! 
Oder vielleicht gleich ein paar Dutzend, zum Verschicken an unsere Herren/Damen der politischen Ar....kriechergattung [Entschuldigung !] und anderen Kriegsunterstützlern ! 


Hans von Sponeck | Andreas Zumach

IRAK – Chronik eines gewollten Krieges
ISBN 3-462-03255-0
 
 

Über die Autoren:

Hans Graf von Sponeck stand mehr als dreißig Jahre in den Diensten der UNO und leitete ab 1998 das Programm »Öl für Nahrungsmittel« im Irak. Weil er die Aushungerung und Verelendung der Zivilbevölkerung nicht länger mittragen wollte, trat von Sponeck, zuletzt im Range eines Beigeordneten UN-Generalsekretärs, im Februar 2000 von seinem Posten zurück. 

Andreas Zumach ist internationaler Korrespondent der Berliner »tageszeitung« und weiterer Zeitungen und Rundfunksender bei der UNO in Genf. Er verfolgt die Entwicklung des Völkerrechts und der internationalen Organisationen einschließlich der Konflikten der Golfregion seit mehr als fünfzehn jähren. 1997 erschien sein Buch »Vereinte Nationen«. 
 

Vorwort:

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Als Hans von Sponeck 1998 von UNO-Generalsekretär Kofi Annan zum Koordinator für die humanitären UNO- Programme im Irak ernannt wurde, war ihm das Ausmaß der menschlichen Katastrophe in dem Land noch nicht bewusst. Zwei Jahre später ist von Sponeck zurückgetreten - aus Protest gegen die Politik des UNO-Sicherheitsrates und insbesondere seiner zwei ständigen Mitglieder USA und Großbritannien. Wie bereits sein Vorgänger Denis Halliday sowie - gemeinsam mit von Sponeck - die Leiterin des Welternährungsprogramms in Bagdad, Jutta Burghardt. Alle drei werfen dem UNO-Sicherheitsrat inzwischen vor, mit der Aufrechterhaltung der Sanktionen gegen das Völkerrecht zu verstoßen und einen Akt des Völkermordes am irakischen Volk zu begehen. 

Von Sponeck führt in diesem Buch Belege für diese Vorwürfe an. Und er weist darauf hin, dass der Sicherheitsrat bei der Verhängung der Sanktionen gegen Irak im Namen aller Mitglieder der UNO gehandelt hat. Und dass damit alle Mitgliedsstaaten, darunter Deutschland, das bis Ende 2004 im Sicherheitsrat vertreten ist, auch mitverantwortlich sind für die Auswirkungen der Sanktionen auf die irakische Zivilbevölkerung. 

Der Rücktritt der drei UNO-Funktionäre war die größte interne Revolte in der bisherigen Geschichte der Weltorganisation. Aber bislang hat sie zumindest keine erkennbaren Konsequenzen. Die Wirkung der Dämonisierung Saddam Husseins auf das Bewusstsein der internationalen Gemeinschaft ist stärker. Und zugleich waren die Sanktionen das wirksamste Mittel, um das Regime von Saddam Hussein unter Kontrolle und gleichzeitig an der Macht zu halten. Insbesondere für die USA hat ein Saddam Hussein, der in Bagdad an der Macht ist, in den letzten zwölf Jahren eine wichtige Funktion erfüllt. Unter Verweis auf die angeblich von seinem Regime ausgehende Bedrohung konnten die USA seit 1991 Waffen im Wert von über 100 Milliarden US-Dollar an Israel, Saudi-Arabien und andere Staaten der Region verkaufen. Und auch in der innenpolitischen Debatte Amerikas war der Verweis auf den Schurkenstaat Irak nach dem Ende des Kalten Krieges und dem Zusammenbruch der Sowjetunion eines der wichtigsten Argumente der Befürworter einer fortgesetzten Atombewaffnung und -rüstung. 

Doch jetzt hat Saddam Hitler seine Schuldigkeit getan. Die politischen Rahmenbedingungen für den fortgesetzten Einfluss und die Kontrolle der USA über den Mittleren Osten und seine reichen Ölvorkommen haben sich verändert. Nicht erst seit dem 11. September 2001. Bei den aus Washingtoner Sicht notwendigen Neuordnungen in der Region steht der Diktator von Bagdad im Weg. Richard Perle, Vize-Verteidigungsminister unter Präsident Ronald Reagan in den 80er Jahren und heute als Vorsitzender des wichtigsten Beratungsgremiums für das Pentagon einer der einflussreichsten Männer in Washington, hat dies schon im Jahre 1996 klar formuliert. In einem Beratungspapier für den damals gerade gewählten israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu plädierte Perle für einen »klaren Bruch« (»a clean break«) mit der damaligen Nahostpolitik und für eine »Neue Strategie zur Erhaltung der Vorherrschaft* der USA und Israels in der Region. 

Punkt eins des Beratungspapiers: Israel solle den Oslo- Friedensprozess mit den Palästinensern beenden, sich nicht mehr auf ähnliche Verhandlungen einlassen und seine Interessen gegenüber den Palästinensern wie den arabischen Staaten kompromisslos durchsetzen. 

Punkt zwei: Ausgehend von der Analyse, dass die innenpolitischen Konflikte in Saudi-Arabien früher oder später zu einer ähnlichen Explosion führen könnten wie 1979 im Iran, dringt Perle darauf, dass die USA ihren geopolitischen Verbündeten und verlässlichen Öl-Lieferanten Saudi Arabien rechtzeitig durch den Irak ersetzen. Dem dafür erforderlichen Sturz nicht nur Saddam Husseins, sondern des gesamten Regimes der Baath-Partei im Irak werde - so Perles Prognose - als Domino-Effekt über kurz oder lang der Kollaps des Baath-Regimes in Syrien folgen. Damit gerate dann auch der Libanon endlich wieder unter die volle Kontrolle Israels und damit der USA. Zum Schluss seines Beratungspapiers aus dem Jahr 1996, das sich wie eine Blaupause für die seitdem eingetretene Entwicklung in der Region liest, plädiert Perle dafür, dass die USA für das 21. Jahrhundert im Mittleren Osten eine »strategische Achse formen mit den beiden einzigen Demokratien der Region, Israel und der Türkei«. 

1997 wurde in Washington die »Projektgruppe für ein neues Amerika« aus der Taufe gehoben. Gründungsmitglieder waren neben Richard Perle zehn Männer, die inzwischen hochrangige Posten in der Bush-Administration besetzen: darunter Vizepräsident Dick Cheney, Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und sein Vize Paul Wolfowitz, der stellvertretende Außenminister Richard Armitage, der für Rüstungskontrolle zuständige Staatssekretär im State Department, John Bolton, sowie der Sonderbeauftragte des Weißen Hauses für die Beziehungen zur irakischen Opposition, Zaimay M. Khalilzad. Eine der ersten Initiativen der Gruppe war Anfang 1998 ein Brief an den damaligen Präsidenten Bill Clinton mit der Forderung, die Regierung in Washington solle » damit beginnen, eine Strategie zur Beseitigung von Saddams Regime umzusetzen. 

Seit sie im Januar 2001 selbst in wichtige Regierungsämter beziehungsweise auf einflussreiche Beraterposten gekommen waren, trieben die Mitglieder der »Projektgruppe für ein neues Amerika« das Ziel des »Regimewechsels« in Bagdad konsequent voran. Die Terroranschläge vom 11. September 2001 schufen die Möglichkeit, die Beseitigung des Regimes in Bagdad als einen notwendigen Teil des Krieges gegen den Terrorismus darzustellen. Wesentlich unter dem Einfluss von Cheney und Rumsfeld fügte Präsident Bush seinem (erst Mitte Januar 2002 bekannt gewordenen) geheimen Exekutivbefehl vom 17. September 2001, mit dem er den Kommandeuren der US-Streitkräfte die Vorbereitung des Krieges gegen das Al-Quaida-Netzwerk und das Taliban-Regime in Afghanistan befahl, einen zweiten Absatz zu. In diesem Absatz gab Bush den Kommandeuren die Order, Szenarien für einen Krieg gegen Irak auszuarbeiten. Bereits in den folgenden Tagen fanden im Pentagon unter Teilnahme von Minister Rumsfeld intensive Diskussionen statt über das Vorhaben, Saddam Hussein zu stürzen.

In seiner »State of the Union«-Rede vom 28. Januar 2002 machte Präsident Bush bereits deutlich, mit welcher öffentlichen Begründung der Krieg gegen das Regime von Saddam Hussein einst geführt werden sollte. Der Präsident erklärte: »Staaten wie Irak, Iran und Nordkorea und ihre terroristischen Verbündeten bilden eine Achse des Bösen. Sie bewaffnen sich, um den Weltfrieden zu bedrohen. Das Bemühen dieser Regime um Massenvernichtungswaffen bedeutet eine schwerwiegende und wachsende Gefahr. Sie könnten diese Waffen an Terroristen weitergeben. Ich werde dieser wachsenden Gefahr nicht tatenlos zuschauen.« 
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Im Weiteren gilt:
Fragen von Andreas Zumach in kursiv-, 
Antworten von Hans Graf von Sponeck in Normalschrift.
 

Aber in der Sache halten Sie die Forderung nach Abrüstung der Massenvernichtungswaffen für richtig? 

Natürlich. Wobei daran zu erinnern ist, dass die Resolution 687 nicht nur die Forderung nach Abrüstung der irakischen Massenvernichtungswaffen enthält, sondern in Artikel 14 auch das wichtige Ziel eines von Massenvernichtungswaffen freien Mittleren Ostens proklamiert. Das meint im Klartext natürlich auch die Verschrottung der israelischen Atomwaffen, von denen mit Sicherheit bekannt ist, dass sie existieren, wie auch die Vernichtung mutmaßlicher Massenvernichtungsmittel bzw. die Einstellung entsprechen- der Rüstungsprogramme in verschiedenen arabischen Staaten. Von diesem bedeutsamen Ziel war aber zumindest bei den beiden ständigen Sicherheitsratsmitgliedern USA und Großbritannien schon bald nach Verabschiedung der Resolution 687 nicht mehr die Rede. Und auch Frankreich, Russland und China zeigten für dieses Vorhaben damals kein aktives Engagement. 

Was sich im Nachhinein als fatal für die irakische Bevölkerung herausgestellt hat, ist die in der Resolution formulierte Verknüpfung zwischen der Forderung nach Abrüstung und den umfassenden Wirtschaftssanktionen. 

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Diese Entwicklung der letzten zwölf Jahre war ja bereits bei den Beratungen über den Text der Resolution 687 im März 1991 befürchtet worden - zumindest von einigen Mitgliedern des Sicherheitsrates, die deswegen auch Bedenken gegen bestimmte Formulierungsvorschläge der USA vorbrachten. Warum haben sie sich mit diesen Bedenken damals nicht durchgesetzt? 

Weil die Bush-Administration bei den Beratungen über die Resolution 687 - wie schon bei den Diskussionen über die Kriegsermächtigungsresolution 678 vom November 1990 - einen immensen Druck auf die anderen Ratsmitglieder ausgeübt hat. Der damalige Außenminister James Baker hat dies später in seinen Memoiren sehr deutlich beschrieben: »lch habe mich persönlich mit all meinen Amtskollegen aus dem Sicherheitsrat getroffen in einem sehr komplexen Prozess, um durch Schmeicheleien, Überzeugungsarbeit, Druck und gelegentlichen Stimmenkauf die Mehrheit sicherzustellen.«Weitere offizielle Äußerungen dieser Art liegen von amerikanischen Politikern bislang nicht vor. Allerdings hat der amerikanische UNO- Botschafter Thomas Pickering unmittelbar nach der Abstimmung über die Kriegsermächtigungs-Resolution 678 am 29. November 1990, bei der Jemen trotz vorausgegangenen massiven Drucks aus Washington mit » Nein « votierte, zu seinem jemenitischen Amtskollegen Abdallah Saleh al-Ashtal gesagt: » Dieses war die teuerste Neinstimme, die Sie je abgegeben haben.« 

Zwei Tage später strich die Administration von George Bush sen. dem Jemen, dem ärmsten arabischen Land, ein Hilfsprogramm von 70 Mio. US-Dollar.
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Der Druck Washingtons auf die anderen Ratsmitglieder war bei den Irak-Beschlüssen der letzten zwölf Jahre brutal. Die USA lassen einen demokratischen Prozess im höchsten Entscheidungsgremium der UNO nicht zu.

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Außer 550.000 Kleinkindern sind seit Anfang 1991 im Irak nach Angabe von Unicef und anderen humanitären Organisationen der UNO über eine Million Menschen im Alter von mehr als fünf Jahren an den Folgen mangelnder Ernährung und unzu- reichender medizinischer Versorgung gestorben. Das sind in zwölf Jahren insgesamt über 1,5 Millionen Tote - oder mehr als sieben Prozent der irakischen Bevölkerung. Umgerechnet auf Deutschland wären das 5,6 Millionen Menschen oder die gesamte Einwohnerschaft von Berlin und Hamburg. Ihr Vorgänger als UNO-Koordinatorfür die humanitären Programme im Irak, der Ire Denis Halliday, ist 1998 von seinem Amt zurückgetreten und hat die Sanktionen der UNO seitdem als Verstoß gegen das Völkerrecht und sogar als einen Akt des Völkermordes kritisiert. Teilen Sie diese harte Kritik? 

Als ich das zum ersten Mal gehört habe, habe ich Denis Halliday angerufen und ihm gesagt, ich hätte nicht den Mut, mich so über einen Verstoß gegen die Genozid-Konvention zu äußern, wie er das getan hat. Doch ich muss zugeben: Drei Jahre nach meinem eigenen Rücktritt im März 2000 ist dies keine politische Aussage eines Einzelnen mehr, sondern eine weit bekannte empirische Tatsache. Nach den Statistiken, die Unicef jährlich über die Lebenssituation von Kindern in 188 Ländern dieser Erde veröffentlicht, sind 1990 im Irak 56 von tausend Kindern gestorben, bevor sie das Alter von fünf Jahren erreichten. 1999 starben bereits 131 von tausend Kleinkindern. Das ist eine Steigerung um mehr als 160 Prozent innerhalb von nur neun Jahren. Hinsichtlich der Entwicklung der Kindersterblichkeit lag der Irak damit unter den 188 von Unicef untersuchten Ländern auf dem letzten Rang. Zwischen 1980 und 1990 war die Kindersterblichkeit im Irak hingegen deutlich zurückgegangen. Ohne die Auswirkungen der 1990 verhängten und 1991 verlängerten Sanktionen hätte sich diese positive Entwicklung in den 90er Jahren fortsetzen können. Nach den ursprünglichen Prognosen der Unicef wären 1999 im Irak von tausend Kleinkindern nur 25 gestorben, statt 131. 

Die Exekutivdirektorin von Unicef, Carol Bellamy, in- formierte den UNO-Sicherheitsrat 1999 persönlich über diese dramatische Entwicklung. Sie machte deutlich, dass der Anstieg der Kindersterblichkeit im Irak auf Unter- und Mangelernährung, verschmutztes Wasser und fehlende Medikamente zurückzuführen war. Das waren ohne Frage Auswirkungen der Sanktionen. Da der Sicherheitsrat trotz dieses Wissens die Sanktionspolitik fortgeführt hat, muss man davon ausgehen, dass eine Absicht vorliegt. Man kann dann auch argumentieren, dass hier Völkerrecht gebrochen wird. Die Regierungen der USA und Großbritanniens wür- den dies sofort und entschieden zurückweisen. Doch die Fakten liegen auf dem Tisch. Damit ist das Argument beleg- bar. Im Übrigen haben nicht nur mein Vorgänger Denis Halliday und ich die Folgen der UNO-Sanktionen als Völker- mord und als Verstoß gegen das Völkerrecht kritisiert. Auch der ehemalige Vorsitzende der UNO-Menschenrechtskommission, der belgische Völkerrechtsprofessor Marc Bossuyt, hat den Sicherheitsrat mitverantwortlich gemacht für die Verletzung der Genozid-Konvention der UNO von 1948, der Konvention über die Rechte des Kindes sowie der bei- den internationalen Pakte für wirtschaftliche, soziale und kulturelle sowie für bürgerliche und politische Menschen- rechte aus dem Jahre 1966. 

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Sie sagen, für Ihre Berichte aus Bagdad war ein enges Format vorgegeben. Wer war denn für diese Vorgabe verantwortlich? 

Das Format wurde in dem Büro für das Irak-Programm (Office of iraq Programme, OIP) im New Yorker Generalsekretariat festgelegt. Und hier liegt ein zentrales Strukturproblem, das erhebliche politische Auswirkungen hat. Im Unterschied zu allen anderen humanitären Programmen, die die UNO und ihre Unterorganisationen weltweit durchführen, ist das humanitäre Programm für den Irak nicht dem Büro des UNO-Koordinators für humanitäre Angelegenheiten in New York zugeordnet worden, das damals von UNO-Untergeneralsekretär Sergio de Mello geleitet wurde.
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Es gibt viele Indizien, dass das Büro für das Irak-Programm ganz bewusst als eigenständige Einheit geschaffen wurde. In dem Büro für das Irak-Programm sitzen an zentralen Schaltstellen Beamte - gerade auch aus den USA und aus Großbritannien -, die ganz offensichtlich die Interessen ihrer jeweiligen Regierung verfolgen. Der Hauptanalytiker im Büro für das Irak-Programm kommt zum Beispiel aus dem englischen Verteidigungsministerium. 
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Zum Beispiel waren über die Hälfte der 800 UNO-Beamten, die für das Programm »0l für Nahrungsmittel vor Ort in Bagdad arbeiteten, nicht mir direkt unterstellt, sondern dem Irak- Büro in der New Yorker Zentrale. Als ich dies Generalsekretär Kofi Annan berichtete, war dieser genauso überrascht und entsetzt wie ich und versprach sich darum zu kümmern, dass dieser unhaltbare Zustand geändert wird. Doch diese Veränderung fand bis zu meinem Rücktritt nicht statt. Aus dem Irak-Büro in der New Yorker Zentrale wurde ihm erklärt, meine Darstellung sei falsch. 

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Washington und London behaupten also, Schuld an der katastrophalen Lage der irakischen Bevölkerung sei nicht das Sanktionsregime der UNO, sondern das Regime von Saddam Hussein. Die Regierung in Bagdad kooperiere nicht mit der UNO, sie behindere die Verteilung der humanitären Hilfsgüter, zweige einen Großteil der Güter ab und bereichere sich durch deren Verkauf. Auch von manchen deutschen Politikern sind immer wieder derartige Vorwürfe zu hören.

Diese Behauptungen sind völliger Unsinn und durch nichts belegt. Meine Kollegen und ich in Bagdad waren immer fassungslos angesichts solcher Vorwürfe. Im September 1999 etwa veröffentlichte das amerikanische Außenministerium eine reine Propaganda-Studie unter dem Titel »Saddam Husseins Irak«. Darin lautet die zentrale These: » Irakische Behinderungen des Programms >Öl für Nahrungsmittel< und nicht die UNO-Sanktionen sind der wesentliche Grund für das Leiden des irakischen Volkes.« Berichte der Caritas, von Care und anderen Nichtregierungsorganisationen - darunter auch US-amerikanische -, die seit Jahren im Irak arbeiten, zeichnen ein ganz anderes Bild. Aber diese Berichte werden von der Regierung in Washington nicht zur Kenntnis genommen. Auch die Regierung Blair in London hat schnell verdrängt, dass im Januar 2000 das englische Unterhaus einen Irak-Bericht herausgab, der von einer Gruppe Abgeordneter aller Parteien angefertigt wurde. In diesem Bericht lautet der zentrale Satz zu den Wirtschaftssanktionen gegen den Irak: »Wir hoffen, dass niemals mehr ein Land mit derartigen umfassenden Wirtschaftssanktionen belegt wird wie der lrak.« Man hat manchmal den Eindruck, dass all das, was gesagt wurde, von Friedensgruppen, von Abgeordneten, von manchen Parteien, ignoriert wird, sobald es nicht der Linie entspricht, die man sich in den Regierungen in London und Washington ausgedacht hat. 

Zur Realität des Programms »Öl für Nahrungsmittel«: Die Verteilung der in den Irak gelieferten humanitären Güter - etwa Lebensmittel und Medikamente - wird von den im Irak vertretenen UNO-Organisationen selbst durchgeführt und, soweit dabei lokale Behörden, Organisationen oder Einzelpersonen beteiligt sind, streng überwacht. Zu meiner Zeit in Bagdad lag der Anteil an den ins Land gelieferten Nahrungsmitteln, der tatsächlich auch bei den vorgesehenen Empfängern ankam, bei knapp 100 Prozent, bei Medikamenten bei über 95 Prozent. Seitdem wurden das Verteilsystem und die Kontrollen noch weiter verbessert. Problematisch ist, dass von den von der irakischen Regierung im Ausland bestellten und von den irakischen Ärzten und Krankenhäusern dringend benötigten Medikamenten weniger als 75 Prozent tatsächlich auch in den Irak gelangen. Bei medizinischen Geräten, ohne die die Krankenhäuser oft lebensrettende Behandlungen und Operationen nicht durchführen können, liegt die Quote sogar nur bei knapp 50 Prozent. Und bei Geräten und Ersatzteilen für die Reparatur von Trinkwassersystemen und anderen lebenswichtigen Einrichtungen der zivilen Infrastruktur gelangt sogar nur rund ein Viertel der bestellten Waren tatsächlich in den Irak. 

Die Blockade der Lieferung humanitärer Güter, von denen Gesundheit und Überleben der irakischen Bevölkerung abhängen, erfolgt im Sanktionsausschuss des UNO-Sicherheitsrates in New York. Das ist der Ausschuss, dessen Vorsitz Deutschland Anfang 2003 übernommen hat. Für die Blockade einer Lieferung in den Irak ist es ausreichend, dass nur ein Mitglied des Sanktionsausschusses Einspruch einlegt. Und in 98 Prozent aller Blockaden, die seit Dezember 1996 vom Sanktionsausschuss verfügt wurden, kam dieser Einspruch von den USA. Zumeist mit der Begründung, die von Bagdad bestellten Güter - darunter Nierensteinzertrümmerer für die Krankenhäuser - seien auch militärisch verwendbar. Die restlichen zwei Prozent der Einsprüche wurden von Großbritannien eingelegt. Im Juli 2002 waren im Ausland bestellte humanitäre Güter im Gesamtwert von über fünf Milliarden US-Dollar blockiert. Diese Blockaden wichtiger humanitärer Lieferungen sind einer der wesentlichen Gründe für die katastrophale Lage der irakischen Bevölkerung und nicht, wie von Washington und London immer wieder propagandistisch behauptet, aber nie belegt, Abzweigungen, Bereicherungsversuche oder Behinderungen durch die irakischen Behörden.

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Aber der Double Speak aus Washington ist offensichtlich sehr erfolgreich. Den drei Regierungen Bush sen., Clinton und Bush jun. ist es in den letzten zwölf Jahren zumindest in hohem Maße gelungen, ihre Darstellung der Dinge als Wahrheit zu verkaufen - vor allem in der US-amerikanischen Öffentlichkeit, aber auch international. Die von Ihnen genannten Zahlen und Fakten über die Blockade humanitärer Güter durch den Sanktionsausschuss des Sicherheitsrates sind etwa in Deutschland nur einem kleinen Kreis Interessierter bekannt, offensichtlich aber nicht den politisch Handelnden in Regierung und Parlament. Haben Sie eine Erklärung hierfür?

Zumindest in Hinblick auf den Erfolg des Double Speak in der amerikanischen Öffentlichkeit sehe ich den doch sehr engen Verbund zwischen der Regierung und den wichtigsten Medien des Landes als einen Grund.
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Als hingegen zum Beispiel Verteidigungsminister Donald Rumsfeld im Herbst 2002 auf einer Pressekonferenz in Washington behauptete, Mitglieder des Al-Qaida-Terrornetzwerkes bewegten sich frei im Irak und unterhielten Beziehungen zur Regierung in Bagdad, fand diese Behauptung am nächsten Tag prominenten Niederschlag auf den ersten Seiten der genannten Zeitungen - ohne Überprüfung vor Ort im Irak. Dementis oder Korrekturen dieser Falschmeldung erfolgten - wenn überhaupt - in sehr kleiner Aufmachung irgendwo auf den hinteren Seiten. Ein Beispiel übelster Manipulation war ein Feature in der Zeitschrift » New Yorker « im Herbst 2002. 

Darin wurden die kurz zuvor bekannt gewordenen Giftgasexperimente einer kleinen, völlig isolierten islamistischen Gruppe im kurdischen Norden Iraks an einem Hund mit dem Chemiewaffeneinsatz von Saddam Husseins Streitkräften gegen die Kurden in Hallabjscha im März 1988 in einer Weise miteinander vermengt, dass beim uninformierten Leser der Eindruck entstehen musste, noch im Jahre 2002 habe Saddam Hussein Chemiewaffen eingesetzt. Das passte natürlich hervorragend in die Feindbildpropaganda, die die Bush-Administration seit dem II. September 2001 betreibt, um einem Krieg gegen Irak Legitimation zu verschaffen. 
 

Aber noch während Ihrer Zeit in Bagdad hat der Sicherheitsrat doch einige Veränderungen beschlossen, die als deutliche Verbesserungen dargestellt wurden. Im April 1999 wurde die Obergrenzefür die Öllmenge, die Irak halbjährlich verkaufen darf, aufgehoben. Und in der Resolution 1284 vom Dezember 1999 stellte der Sicherheitsrat Bagdad im Falle einer Kooperation mit der neu etablierten Waffenkontrollkommission UNMOVIC die Suspendierung der Wirtschaftssanktionen in Aussicht. 

Ich kann die positive Einschätzung dieser Maßnahmen nicht teilen. Zunächst zur Aufhebung der Obergrenze für die Ölverkaufsmenge im April 1999. Damals wurde vor allem auch von der Clinton-Administration verkündet, jetzt könne Irak seine Ölförderung, die Ölverkäufe und damit auch die Ressourcen für das Programm » Öl für Nahrungsmittel « erheblich steigern. Wenn es den Irakern auch künftig noch schlecht gehe - so die damalige Botschaft aus Washington -, dann sei das der beste Beweis, dass Saddam Hussein sein Volk bewusst leiden lasse. Wieder ein Beispiel für Washingtons Double Speak. 

Denn unterschlagen wurde die Information, dass die irakische Ölindustrie überhaupt nicht in der Lage war, ihre Fördermenge zu steigern. Die im Golfkrieg von 1991 erheblich zerstörten irakischen Ölförderanlagen konnten unter den Sanktionsbedingungen der folgenden Jahre nicht repariert werden. Neue Ölfelder durften nicht eröffnet werden. Daher konnte Bagdad über die schon vor dem Aufhebungsbeschluss erreichte Fördermenge von etwa 3,2 Millionen Fass pro Tag bis heute nie hinausgehen. Die Aufhebung der Obergrenze für die Ölförderung konnte sich also gar nicht positiv auf die Lebensbedingungen der irakischen Bevölkerung auswirken. Und der Clinton-Regierung waren diese Tatsachen sehr wohl bekannt. 

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Diese völkerrechtlichen Aspekte der Luftangriffe und der Einrichtung von Flugverbotszonen waren aber nicht der Anlass und der Gegenstand ihrer Berichte in den Jahren 1998 bis 2000, sondern die zivilen Opfer der Angriffe und die so genannten Kollateralschäden an Einrichtungen der zivilen Infrastruktur. 

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Diese Reports wurden dann an die New Yorker UNO-Zentrale geschickt. Allein für das Jahr 1999 wurden an 132 Tagen Luftangriffe registriert. Dabei sind 144 irakische Zivilpersonen ums Leben gekommen (etwaige Verluste unter mi- litärischem Personal kann ich nicht beurteilen). 446 Zivilisten  sind verwundet worden,  Gerät und  Privatgüter wurden zerstört. 28 Mal waren Kollegen von mir oder ich selbst unmittelbar vor Ort, als die Luftangriffe erfolgten. Wenn wir nicht in der Nähe waren und in irakischen Zeitungen lasen, dass es bei Angriffen Zivilopfer gegeben habe, dann habe ich Kollegen gebeten, dort hinzufahren und den Vorgang zu überprüfen. Wir haben unseren Berichten an die New Yorker UNO-Zentrale Fotografien der Opfer und zerstörter Gebäude beigefügt. Bei unseren Recherchen vor Ort haben wir auch jeweils die Behauptungen der irakischen Regierung über die zivilen Opfer der Luftangriffe oder Schäden an zivilen Einrichtungen überprüft, die in Washington, London und anderen westlichen Hauptstädten häufig als Propaganda abgetan wurden. 

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Die Berichte habe ich geschrieben, bis ich Irak im März 2000 verlassen habe. Doch meinem Nachfolger wurde sehr schnell mitgeteilt, dass er diese Berichte und die dafür erforderlichen Recherchen über die Luftangriffe und ihre Auswirkungen einstellen soll. Der zurückgebliebene Chef meiner Sicherheitsabteilung in Bagdad hat mir das später bestätigt. Diese Anweisung hat mein Nachfolger nicht vom UNO-Generalsekretär erhalten, sondern von seinem unmittelbaren Chef im Irak-Büro der New Yorker Zentrale. 

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Dass es im Europaparlament und bei den Regierungen Deutschlands und den meisten anderen EU-Staaten kein oder nur ein mangelhaftes Interesse gibt, sich mit der katastrophalen humanitären Lage eines Volkes unter Sanktionsdruck zu befassen, ist zwar nicht gutzuheißen, lässt sich aber immerhin noch nachvollziehen. Was ich jedoch nicht verstehe: Es gibt bezogen auf Irak und die ganze erdölreiche Region des Mittleren Ostens doch auch handfeste wirtschaftliche Interessen Deutschlands und der anderen europäischen Staaten - und nicht nur Frankreichs oder Russlands. Warum haben diese Interessen nicht längst zu einer aktiven Irak-Politik geführt und zu mehr Eigenständigkeit gegenüber den USA? 

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Die Erklärungen der Parteien enthalten falsche oder fahrlässig vereinfachte Darstellungen, zumeist in simpler Wiederholung entsprechender Behauptungen aus Washington und London. So behauptete die SPD, Saddam Hussein verweigere dem irakischen Volk Lebensmittel und Medikamente. Die Einnahmen aus den Ölverkäufen würden von der irakischen Regierung nicht zur Versorgung der Bevölkerung genutzt. Im Irak müsste niemand hungern, wenn Saddam Hussein dies nicht wollte. Die Grünen sagen, die Sanktionen seien »keine Strafe für die notleidende Bevölkerung, sondern die einzige Möglichkeit, Missbilligung für das Verhalten Iraks auszudrücken«. An die Regierung in Bagdad appellieren die Grünen in ihrer beim Parlament deponierten Stellungnahme vom Januar 2002: »Lasst internationale Waffeninspekteure in euer Land, und die Sanktionen werden beendet.« Die FDP erklärt, »statt Medikamente und Nahrungsmittel für sein darbendes Volk zu besorgen«, lasse Saddam Hussein »lieber elf Milliarden Öl-Dollar ungenutzt auf Depotkonten liegen«. Eine nüchterne Analyse der Lage im Irak komme daher »zu dem Ergebnis, dass mit der Aufhebung der Sanktionen die Position des Diktators weiter gestärkt, seinem Volk aber nicht geholfen würde«. 

All die Analysen und die umfangreiche Expertise, die renommierte internationale Organisationen und unabhängige Beobachter in den letzten zwölf Jahren zum Thema Irak vorgelegt haben, wurden von den politischen Parteien in Deutschland offensichtlich bislang nicht zur Kenntnis genommen. Lediglich die Stellungnahmen der PDS -auch zu den UNO-Sanktionen und deren Folgen- ließen erkennen, dass sich diese Partei näher mit dem Problem befasst hatte. Doch mit dieser Ausnahme haben alle Parteien schlicht ihre Hausaufgaben zum Thema Irak nicht gemacht.