Schnüffeln auf dem Campus:
Wie das FBI die amerikanische Studentenbewegung ins Visier nahm


Autor: Joachim Gärtner

Im Zuge der Terrorismus-Bekämpfung nach den Anschlägen vom 11. September hat die Bush-Administration die Befugnisse der Strafverfolgungsbehörden und Geheimdienste in den USA erheblich erweitert. Der - entgegen sonstiger Gepflogenheiten - in aller Eile durch den Kongress gepeitschte "Patriot Act" erlaubt sehr viel weitgehender als zuvor das Abhören von Telefonen und Handys sowie die Überwachung von E-Mails. Auch die flächendeckende Bespitzelung durch das FBI, die Beschattung und Infiltration politischer oder religiöser Gruppierungen, Hausdurchsuchungen ohne gerichtliche Anordnung, Verhöre, die Überprüfung der Lesegewohnheiten von Bibliotheksbenutzern sowie eine schärfere Gangart gegenüber Ausländern werden durch die Antiterrorgesetzgebung legitimiert. Zudem hat das US-Repräsentantenhaus inzwischen der Gründung eines neuen Super-Ministeriums zugestimmt. Das "Department of Home Security" soll nach den Plänen von Präsident George W. Bush künftig für die Bündelung und Auswertung von Erkenntnissen der Geheimdienste sorgen. In seinen Zuständigkeitsbereich würden ferner der Grenzschutz, die Abwehr chemischer, biologischer und atomarer Angriffe sowie die Vorbereitung von Maßnahmen im Falle einer Notlage gehören. Vermutlich bereits in der kommenden Woche wird der Senat über den Gesetzentwurf entscheiden, mit dem die tiefgreifendste Reform der Sicherheitsbehörden seit 1947 verbunden wäre. Senatoren der Demokraten kritisieren vor allem, dass das Gesetz die Möglichkeit vorsieht, im Falle nationaler Sicherheitsinteressen die Rechte zum Arbeitsschutz und der Gewerkschaften zu beschneiden.

Liberale Kritiker und Vertreter der Bürgerrechtsbewegung sehen in den staatlichen Maßnahmen zur Terrorismusabwehr, die in ihrer vagen Formulierung großzügigen Interpretationen Tür und Tor öffneten, eine Aushöhlung der in der Verfassung verankerten Freiheitsrechte.

"Spionage" an der Heimatfront

Wohin es führen kann, wenn das FBI in der eigenen Bevölkerung "Spionage" betreibt, das zeigen die jahrzehntelang geheimgehaltenen so genannten "Campus Files". Sie enthüllen eine beispiellose Kampagne gegen Studenten, Professoren und Angestellte der University of California (UC) in Berkeley, die das FBI in den 1960er Jahre durchführte.

"Die Kampagne des FBI ist eine Lektion für die Gegenwart. Wenn heute über die Ausweitung der Polizei-Befugnisse und den Abbau von Bürgerrechten diskutiert wird, dann sollte man sich anschauen, wie das FBI damals gegen gesetzestreue Bürger, Studenten, Professoren und den Universitäts-Präsidenten vorgegangen ist, die nur ihre verfassungsmäßigen Rechte in Anspruch genommen haben. Daraus kann man lernen, dass dort, wo so viel Macht konzentriert ist, die niemand mehr kontrollieren kann, dort wird auch Missbrauch damit getrieben", sagt der Journalist des "San Francisco Chronicle" Seth Rosenfeld, der für die Veröffentlichung der "Campus Files" unter Berufung auf den Freedom of Information Act 17 Jahre lang vor amerikanischen Gerichten gefochten hat. Obschon Richter bereits in den 1980er Jahren ihre Publikation anordneten, gelang es dem FBI mehrfach, die Entscheidungen anzufechten. Erst jetzt gelangten die Dokumente an die Öffentlichkeit. Sie sind ein Lehrstück über den Machtmissbrauch der amerikanischen Sicherheits- und Geheimdienste und ihre Instrumentalisierung zu politischen Zwecken.

Ein Jahrzehnt der Unruhe - Amerika in den 1960er Jahren

Die 1960er Jahre waren ein Jahrzehnt der Unruhe in den Vereinigten Staaten. Der liberale Konsens, der bis dahin gesellschaftskritische Strömungen und divergierende politische Meinungen hatte binden können, verlor zusehends an Integrationskraft. Die sich radikalisierende Bürgerrechtsbewegung und die Proteste gegen das militärische Engagement der USA in Vietnam erschütterten die amerikanische Gesellschaft. Parallel dazu entstand eine "counterculture", in der Intellektuelle und Jugendliche aus den bürgerlichen weißen Mittelschichten gegen die Zwänge, Konventionen und Tabus des "Mainstream"-Amerika rebellierten. Der Haight-Ashbury-Distrikt in San Francisco entwickelte sich zu einer frühen Bastion dieser Gegenkultur. Von hier aus breitete sich das neue Lebensgefühl der "hippies", "peaceniks" und "Blumenkinder" über ganz Amerika aus.

Auch an den Universitäten gärte der Protest. Die University of California in Berkeley, wo sich 1964 das "Free Speech Movement" formiert hatte, avancierte zur Speerspitze der Studentenbewegung in den USA. In immer größeren Demonstrationen und Sit ins protestierte die akademische Jugend gegen den Vietnam-Krieg und für die Freiheit der Rede. Hunderttausende demonstrierten in Berkeley, Joan Baez sang auf dem Campus "We shall overcome". Studentenführer wie Mario Savio, Jack Weinberg oder Reginald Zelnik wurden zu landesweiten Identifikationsfiguren. Mit ihrem "Free Speech Movement" hatten die Studenten von Berkeley eine Bewegung ins Rollen gebracht, die auch in Europa Wirkung zeigte.

In Amerika selbst führte die Radikalisierung des politischen Lebens, die 1968 ihren Höhepunkt fand, zu einem konservativen "backlash", in dessen Kielwasser Richard Nixon mit seinen "law and order" Versprechen den Präsidentschaftswahlkampf 1968 für sich entscheiden konnte.

Die "Campus-Files"

Dabei war die UC Berkeley schon früh ins Visier des konservativen amerikanischen Establishment geraten, nicht zuletzt deshalb, weil der angesehenen Universität ein Forschungsinstitut für Nuklearwaffen angegliedert war. Bereits 1960 warnte der damalige FBI-Chef John Edgar Hoover den amerikanischen Kongress vor einer "kommunistischen Verschwörung" auf dem Campus. Wie die jetzt veröffentlichten Files enthüllen, ließ er im selben Jahr, diesmal ohne Wissen des US-Kongresses und damit widerrechtlich, 6.000 Dozenten, Verwaltungsangestellte und Studenten bespitzeln. Ein geheimes "Security Index" stufte insgesamt 72 Personen als "verdächtig" ein. Akribisch wurden sexuelle Vorlieben, Alkoholkonsum oder andere Anzeichen vermeintlicher "mentaler Instabilität" der observierten Personen notiert.

Ebenfalls rechtswidrig kooperierte das FBI bei seiner großangelegten Schnüffelaktion mit dem CIA. Gemeinsam spielten die beiden Organisationen dem konservativen Verwaltungsrat von Berkeley 1965 Geheiminformationen zu, die dieser notfalls benutzen sollte, um liberale Kollegen und Professoren "in Schach zu halten". Und als Präsident Lyndon B. Johnson 1964 erwog, den Universitäts-Präsidenten von Berkeley, Clark Kerr, zum Gesundheitsminister zu machen, lancierte Hoover gezielt die falsche Information ans Weiße Haus, Kerr sei ein "unloyaler" Kommunist.

"Anfangs war das Sammeln von Informationen auf dem Campus noch legal, weil man eine kommunistische Unterwanderung des Free Speech Movement befürchten konnte. Doch als man festgestellt hatte, dass die Bewegung überhaupt nicht an Ideologie interessiert war, sondern dass es hier nur um ganz legale studentische Belange ging, hätte das FBI an genau diesem Punkt nach seinen eigenen Statuten aufhören müssen. Stattdessen hat J. Edgar Hoover sich als politisches Instrument für den damaligen Gouverneur von Kalifornien, Ronald Reagan, missbrauchen lassen", so Seth Rosenfeld. In der Tat war es neben dem erzkonservativen FBI-Chef, der in den Südstaaten die Einführung der Bürgerrechte tatkräftig behindert hatte, vor allem Kaliforniens frischgebackener Gouverneur Ronald Reagan, der gegen die Berkeley-Rebellen und die liberale Professorenschaft der Universität zu Felde zog. Längst hatte sich der einst in der Gewerkschaft engagierte Ex-Schauspieler und vormalige Demokrat als Exponent der politischen Rechten profiliert. Seit 1962 Mitglied in der Republikanischen Partei war er 1966 mit dem Versprechen in den Wahlkampf gezogen, den Campus "auszumisten". Kaum im Amt, hatte Reagan - in enger Absprache mit Hoover - 1967 nichts Eiligeres zu tun, als sich selbst und zwei seiner Regierungsmitglieder in den Board of Regents der Universität wählen zu lassen und in einer Kampfabstimmung die Amtsenthebung von Clark Kerr zu erzwingen. "Ich hatte immer ein hohe Meinung vom FBI, deswegen war es für mich wie ein Schock, als ich erfuhr, dass sie damals ihre eigenen Regeln so sehr verletzt haben. Sie haben mich zerstört. Und ich habe es damals nicht gemerkt. Das ist es, was mich so überrascht, oder besser gesagt beunruhigt", meint Clark Kerr heute. "Es war ein beliebtes Spiel damals, sich vorzustellen, wer aus dem Bekanntenkreis wohl ein FBI-Spitzel ist", erinnert sich der damalige Studentenführer Reginald Zelnik. "Aber dass sie so weit gehen und den Präsidenten der Universität absetzen würden, das konnte sich selbst damals keiner vorstellen."

Zwei Jahre später verhängte der Gouverneur von Kalifornien nach gewaltsamen Ausschreitungen in Berkeley das Kriegsrecht über die gesamte Stadt. Bei Auseinandersetzungen mit der bewaffneten Polizei kam ein Student ums Leben, mehrere Demonstranten wurden verletzt und Hunderte verhaftet. Kurz darauf diskutierte die Reagan-Regierung mit dem FBI über Methoden, wie die Studenten am besten "zu attackieren" seien. "Jede nur denkbare Strafverfolgungsmethode" sollte dabei in Betracht gezogen werden.

Die Maßnahmen zeigten ihre Wirkung: Die staatliche Macht hatte der Studentenbewegung ihre Grenzen aufgezeigt. Berkeley war schon bald nicht mehr das Zentrum der amerikanischen Protestbewegung.

Buchtipps

  • Horst Dippel: Geschichte der USA
    Beck'sche Reihe Bd. 2051, 2002
    ISBN: 3-406-44799-6, Preis: 7,90 Euro

  • Marc Frey: Geschichte des Vietnamkriegs.
    Die Tragödie in Asien und das Ende des
    amerikanischen Traums
    Beck'sche Reihe Bd. 1278, 2000
    ISBN: 3-406-45978-1, Preis: 12,90 Euro

  • Ingrid Gilcher-Holtey: Die 68er Bewegung.
    Deutschland, Westeuropa, USA
    Beck'sche Reihe Bd. 2183, 2001
    ISBN: 3-406-47983-9, Preis: 7,50 Euro

  • Michael Kimmel: Studentenbewegungen der 60er Jahre.
    Frankreich, BRD und USA im Vergleich
    WUV 1998
    ISBN: 3-85114-378-7, Preis: 14,50 Euro

  • Anthony Summers: J. Edgar Hoover, Der Pate im FBI
    Langen/Müller 1994 (vergriffen)


Unbedingt anschauenswerte Links:

"The Campus Files" - ein Spezial des "San Francisco Chronicle" (mit ausführlichen Informationen zum zeitgenössischen Kontext und weiterführenden Links; engl.)

 

Der "US-Patriot Act" im Wortlaut (PDF-Format)

Amerikas Antwort auf den Terrorismus (Linksammlung, zusammengestellt von der US-amerikanischen Botschaft)

Über das geplante "Department of Home Security"

Erosion der Bürgerrechte in den USA ("Le Monde diplomatique", 11/2001)

Über den "Freedom of Information Act" von 1966

Zeit des Umbruchs: 1960er bis 1980er Jahre in den USA (Informationen der Amerikanischen Botschaft mit zahlreichen weiterführenden Links)

Widerstand gegen den Vietnamkrieg in den USA

Homepage der University of California in Berkeley

Das "Free Speech Movement" (engl.)

Free Speech Digital Archive (Chronologie, Bibliografie und Dokumente; engl.)

Die internationale Dimension der Studentenbewegung

Homepage des FBI

Zu Geschichte und Aufgaben des FBI

FBI-Chef J. Edgar Hoover - Ein Schatten über Amerikas Demokratie (Informationsangebot des "BR" mit Links und Buchtipps)

Homepage der CIA

Ronald Reagan (Biografie und weiterführenden Links)

 

http://www.wdr.de/tv/kulturweltspiegel/20020728/2.html