Weihnachtsdekoration
Sonntag, 1. Advent, 10.00 Uhr:
In der Reihenhaussiedlung Önkelstieg läßt
sich die Rentnerin Erna B.
durch ihren Enkel Norbert 3 Elektrokerzen auf
der Fensterbank ihres Wohnzimmers installieren. Vorweihnachtliche Stimmung
breitet sich aus, die Freude ist groß.
10 Uhr 14:
Beim Entleeren des Mülleimers beobachtet
Nachbar Ottfried P. die provokante Weihnachtsoffensive im Nebenhaus und
kontert umgehend mit der Aufstellung des 10 armigen dänischen
Kerzenset zu je 15 Watt im Küchenfenster. Stunden später erstrahlt
die gesamte Siedlung Önkelstieg im besinnlichen Glanz von 134 Fensterdekorationen.
19 Uhr 03:
Im 14 km entfernten Kohlekraftwerk Sottrup-Höcklage
registriert der wachhabende Ingenieur irrtümlich einen Defekt
der Strommeßgeräte für den Bereich Stenkelfeld-Nord, ist aber
zunächst arglos.
20 Uhr 17:
Den Eheleuten Horst und Heidi E. gelingt der Anschluß
einer Kettenschaltung von 96 Halogen-Filmleuchten, durch
sämtliche Bäume ihres Obstgartens, ans Drehstromnetz. Teile der heimischen
Vogelwelt beginnen verwirrt mit dem Nestbau.
20 Uhr 56:
Der Discothekenbesitzer Alfons K. sieht sich genötigt
seinerseits einen Teil zur vorweihnachtlichen Stimmung beizutragen
und montiert auf dem Flachdach seines Bungalows das
Laserensemble Metropolis, das zu den leistungsstärksten
Europas zählt.
Die 40m Fassade eines angrenzenden Getreidesilos
hält dem Dauerfeuer der Nikolausprojektion mehrere Minuten stand,
bevor sie mit einem häßlichen Geräusch zerbröckelt.
21 Uhr 30:
Im Trubel einer Jul-Club-Feier im Kohlekraftwerk
Sottrup-Höcklage verhallt das Alarmsignal aus Generatorhalle 5.
21 Uhr 50: Der 85 jährige Kriegsveteran August
R. zaubert mit 190 Flakscheinwerfern des Typs Varta Volkssturm den
Stern von Bethlehem an die tiefhängende Wolkendecke.
22 Uhr 12:
Eine Gruppe asiatischer Geschäftsleute mit
leichtem Gepäck und sommerlicher Bekleidung irrt verängstigt
durch die Siedlung Önkelstieg.
Zuvor war eine Boing 747 der Singapur Airlines
mit dem Ziel Sydney versehentlich in der mit 3000 bunten Neonröhren
gepflasterten Garagenzufahrt der Bäckerei Bröhrmeyer
gelandet.
22 Uhr 37:
Die NASA Raumsonde Voyager 7 funkt vom Rande der
Milchstraße Bilder einer angeblichen Supernova auf der nördlichen
Erdhalbkugel, die Experten in Houston sind ratlos.
22 Uhr 50:
Ein leichtes Beben erschüttert die Umgebung
des Kohlekraftwerks Sottrup-Höcklage, Der gesamte Komplex mit
seinen 4 Turbinen läuft mit 2000 Megawatt brüllend jenseits der Belastungsgrenze.
23 Uhr 06:
In der taghell erleuchteten Siedlung Önkelstieg
erwacht Studentin Bettina U. und freut sich irrtümlich über
den sonnigen Dezembermorgen. Um genau 23 Uhr 12 betätigt sie den Schalter
ihrer Kaffeemaschine.
23 Uhr 12 und 14 Sekunden:
In die plötzliche Dunkelheit des gesamten
Landkreises Stenkelfeld bricht die Explosion des Kohlekraftwerks Sottrup-Höcklage
wie Donnerhall. Durch die stockfinsteren Ortschaften irren verwirrte
Menschen,
Menschen wie du und ich, denen eine Kerze auf
dem Adventskranz
nicht genug war.
Autozulassung
Montag, 04. Juli
Schon um 6:58 trifft Lagerist Erwin B. in der
Kraftfahrzeugzulassungsstelle
Burgdorf Weststadt ein, wo der Schalterbetrieb
um 8 Uhr beginnt.
Seine Pünktlichkeit wird nicht belohnt. 262
Mitbürger waren schneller.
9:06 Uhr
Durch das Spalier der schwitzenden Warteschlange
- Sitzplätze gibt es nur 16 - bahnt
sich Amtsinspektor Alfred Köppel mit eisiger
Mine seinen Weg zur Öffnung der
Büroräume. Der seit halb sechs wartenden
Nummer 3 der Warteschlange, raunt
Köppel nach einem flüchtigen Blick auf
dessen Dokumente, noch ein nachsichtiges
"Nutzfahrzeuge Nachmittags!" zu und verschwindet
in seinem Büro.
9:28 Uhr
Aufruf des Antragstellers Nummer eins, der auf
dem Gelände übernachtet hatte.
9:29 Uhr
Antragsteller Nummer eins verlässt als gebrochener
Mann den Amtsraum.
Die Zündschlüssel für sein Fahrzeug
werden später zusammen mit einem
Abschiedsbrief und einer ungültigen ASU-Bescheinigung
am Ufer des
Irenensees gefunden.
11:38 Uhr
Der maschinelle Stempel auf Erwin B's Versicherungsdoppelkarte
wird von
Amtsinspektor Köppel als mögliche Fälschung
moniert. Beim Versuch,
unanfechtbaren Ersatz zu beschaffen, wird Erwin
B. auf dem Weg zur
Versicherungsagentur wegen überhöhter
Geschwindigkeit in einem nicht
zugelassenen Fahrzeug vorläufig festgenommen.
Donnerstag, 07. Juli
Nach einer unruhigen Nacht vor dem Hauptportal
des Straßenverkehrsamtes,
in der Erwin B. immerhin auf Platz fünfzehn
vorstoßen konnte, sickert durch,
dass Donnerstags neuerdings nur noch Krafträder
bis 500 ccm, sowie
landwirtschaftliche Zugmaschinen mit ungeradem
Baujahr bearbeitet werden.
Freitag, 08. Juli
Gegen 12:07 Uhr gelingt Erwin B. überraschend
der Vorstoß an den
Schreibtisch von Amtsinspektor Köppel. Der
vorherige Antragsteller musste
das Zulassungsverfahren für seine nicht mehr
fabrikneue Borgward Isabella
nach 40 Jahren vorzeitig abbrechen, weil Neuwagen
ohne Katalysator nicht mehr
zugelassen werden. Da die Antragsfrist werktags
um 12 Uhr endet, kommt es
nur noch zu einer mürrischen Begrüßung
zwischen Erwin B. und Köppel und dem
Verweis auf die Bürozeiten der nächste
Woche. Erwin B. beschließt, diesmal
alle anderen Antragstellern zuvor zu kommen.
Montag, 11. Juli
Nach einem tristen Wochenende im engen Garderobenschrank
der Amtsräume
hat Erwin B. an Startnummer eins kein Glück.
Der bestens ausgeruhte
Amtsinspektor erkennt auf einen Blick die nachlässige
Entgratung der Bohrlöcher
auf den alten Nummernschildern, sowie das teilweise
unleserliche Datum auf
der Abmeldebescheinung. Zu allem Unglück
fällt Köppel über eine gravierende
Unregelmäßkeit in den Antragsdokumenten.
Erwin B.s kürzlicher Umzug vom
Önkelstieg 31 nach 31b gehe aus den letzten
ASU-Berichten nicht hervor.
Aus einer menschlichen Regung heraus verzichtet
Köppel zwar auf Strafverfolgung
dieser Tatbestände, muss den Antrag natürlich
dennoch ablehnen.
Dienstag, 12. Juli, 7:17 Uhr
Amtsleiter Köppel lehnt unter Hinweis auf
das fehlende polizeiliche Führungszeugnis
des Vorbesitzers, sowie die verjährte Unbedenklichkeitsbescheinigung
für die
selbstklebende Parkmünzbox, den gesamten
Zulassungsantrag erneut ab.
7:31 Uhr
Drei entsicherte Eierhandgranaten mit gültiger
Nato-Prüfplakette rollen vom
Hauptportal kommend mit hohlem Geräusch durch
den sorgsam gebohnerten
Flur der Kraftfahrzeugzulassungsstelle. Vier Sekunden
später erschüttert
eine gewaltige Detonation den historischen Marktplatz.
7:54 Uhr
Das Straßenverkehrsamt Burgdorf ist nicht
mehr. Aus rauchenden Trümmern
befreien sich verwirrte Menschen ohne Hoffnung.
Antragsteller, wie Du und ich,
die nur mal ein Kraftfahrzeug anmelden wollten.
|