Mord im Vatikan | |||
Noch immer gibt es Zweifel am Tod zweier Schweizergardisten | |||
Die Schweizergardisten Cédric Tornay und Alois Estermann |
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Es ist der Abend des 4. Mai 1998, kurz nach 21 Uhr. Tatort: Vatikan. Unweit der Gemächer des Papstes werden drei Leichen gefunden. Ein Schweizergardist soll seinen Vorgesetzten und dessen Frau getötet haben. Danach begeht er angeblich Selbstmord. Das vermeintliche Motiv des 23-jährigen Cédric Tornay: Rache für eine verweigerte Auszeichnung durch seinen Kommandanten Alois Estermann. Soweit die Version, die der Vatikan nur wenige Stunden nach der Tat präsentierte. Zwei Tage später bekräftigt Vatikan-Sprecher Joaquin Navarro-Valls diese Lesart noch einmal: "Es war ein Anfall von Wahnsinn. Die Tat einer gestörten Persönlichkeit, die auffallen wollte, die unter ungenügender Anerkennung gelitten hat." | ||||||||
"Die Drahtzieher sind unerkannt"
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Doch schon bald kommen Zweifel auf. Vier Gläser
sollen auf dem Tisch gestanden haben - gab es einen vierten Mann? Wieso hat
niemand Schüsse gehört? Es wurde sogar der Verdacht laut, dass der
Vatikan vertuscht, Beweise gefälscht oder gar gelogen haben soll. In
ihrem in Italien erschienenen Buch "Assassinati in Vaticano" ("Ermordet im
Vatikan") behaupten die beiden französische Juristen Jacques Vergès
und Luc Brossollet, der vermeintliche Mörder sei selbst ermordet worden.
Im Auftrag der Mutter von Cédric Tornay sollen sie Licht ins Dunkel
der Affäre bringen. Für Luc Brossollet handelt es sich eindeutig um ein Komplott. "Die Drahtzieher und Mörder sind bisher noch unerkannt", sagt er. Man müsse befürchten, dass sie immer noch frei herumlaufen, sich im Vatikan befinden würden. "Wir sind sicher, dass Cédric ermordet wurde und die Estermanns auch", meint Brossollet. "Der vermeintliche Mörder ist also selbst ein Opfer." Um die Unschuld Tornays zu belegen, haben die Anwälte zahlreiche Beweise vorgelegt. Unter anderem eine Kugel, die intakt ist, die keinerlei Schürf- und Druckstellen aufweist: "Sie muss, wenn sie die Mordkugel sein soll, Schockspuren tragen", erklärt Luc Brossollet. "Aber diese Kugel zumindest hat keinerlei schweres Hindernis durchlaufen." |
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Ausgeschlagene Zähne
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Die vatikanische Version des Selbstmords mit gesenktem
Haupt haben Schweizer Experten inzwischen ebenso widerlegt wie den Schussverlauf.
Hätte sich Tornay auf diese Weise erschossen, hätte die Kugel die
beiden Halswirbelknochen in Splitter aufgelöst. Das war aber nicht der
Fall. Eine zweite Autopsie zeigt: Tornays Kopf muss im Moment des Schusses
nach hinten gelehnt gewesen sein. Und noch ein Indiz spricht laut Brossollet
gegen den Selbstmord: "Das in der Lunge gefundene Blut stammt vom Bruch des
Felsenbeins an der Schläfe", sagt er. Für Brossollet ein Beweis,
dass Cédric zuerst niedergeschlagen und dann erschossen wurde, dass
er bereits im Koma lag, als er geschossen haben soll. "Außerdem deuten
ausgeschlagene Zähne darauf hin, dass die Waffe ihm mit Gewalt in den
Mund gesteckt worden ist", sagt der Anwalt. "Es ist also mehr als sicher,
dass die Theorie des Vatikans nicht der Wahrheit entspricht." Auch der Abschiedsbrief Cédric Tornays ist einem Gutachten zufolge eine Fälschung. Dafür sprechen viele Indizien. So hat Tornay nie von "Le pape", also vom Papst, sondern immer vom Heiligen Vater gesprochen. Außerdem verabschiedet er sich am Ende des Briefes von seinen Schwestern und seinem Vater, vergisst aber seine Verlobte und seine Halbbrüder. Und von deren Existenz, so Brossollet, habe niemand im Vatikan gewusst. |
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Der Rest ist Schweigen
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Schwere Vorwürfe, denen der Vatikan entgegentreten
müsste. Doch die einzige Reaktion bis heute ist ein Untersuchungsbericht
neun Monate nach der Tat, der die erste These vom Selbstmord Tornays bestätigt.
Der Rest ist Schweigen. Nach den öffentlichen Vorwürfen der Anwälte
vor wenigen Tagen räumte man zwar ein, ungeklärten Fragen nachzugehen
- doch bisher tat sich nichts. Auch Kulturzeit hat auf Interviewanfragen eine
Absage erhalten. Sollte die vatikanische Theorie eines Rachemordes also eine Lüge sein? Soll von angeblichen Mafiakontakten der Schweizergardisten, illegalen Geld- und Waffengeschäften Estermanns und seiner Frau sowie deren Mitgliedschaft im Opus Dei abgelenkt werden? Geistliche, die anonym bleiben wollen, bestätigen dies in ihrem Buch "Bugie di sangue in Vaticano" ("Blutlügen im Vatikan"). Die Literaturagentin des Verlags, Monika Lustig, spricht stellvertretend: "Eine maßgebliche Rolle wird der seit Jahrzehnten schwelende und zum Teil ausgetragene Machtkampf zwischen Opus Dei und den Geheimlogen im Vatikan gespielt haben", mutmaßt sie. Estermann und Tornay hätten da im Wege gestanden. "Tornay, das hatte er seiner Mutter anvertraut, hatte zusammen mit zwei Kollegen aus der Schweizer Garde schon vor Zeiten eine Untersuchung über die Präsenz des Opus Dei im Vatikan begonnen." |
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Machtstreben und Erpressung
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Wurde das dem jungen Schweizergardisten zum Verhängnis?
Ist der Opus Dei-nahe Estermann den zahlreichen Geheimlogen zu schnell zu
mächtig geworden? Es bleibt bei Spekulationen, endgültige Beweise
gibt es nicht. Doch ein Insiderbericht des inzwischen verstorbenen Prälaten
Luigi Marinelli über Machtstreben und Erpressung im Umfeld des Heiligen
Stuhls bringt totalitäre Umgangsformen und mafiose Machenschaften im
Vatikan an den Tag. Marinelli war Mitautor des Enthüllungsbuchs "Via
col vento in Vaticano" - wörtlich übersetzt "Vom Winde verweht im
Vatikan", auf Deutsch erschienen unter dem Titel "Wir klagen an: zwanzig römische
Prälaten über die dunklen Seiten des Vatikans". Sein Urteil ist
hart: "Karrieristen und Freimaurer, wo man nur hinschaut im Vatikan. Das
dürfen wir nicht länger hinnehmen." Der Vatikan schweigt. Und das hat Tradition. Selbst das Attentat auf Papst Johannes Paul II. 1981 und nicht zuletzt der spektakuläre Mord am Bankier Gottes, Roberto Calvi, wurden nie endgültig aufgeklärt. Der Vatikan wirkt wie sein eigener Souverän, der seine eigenen Gesetze macht. Kontroll- und Beschwerdeinstanzen scheinen nicht zu existieren, Mitbestimmung ist nicht vorgesehen, nur Gnade und Gehorsam. Von einem weltlichen Rechtsstaat ist der Vatikan weit entfernt, findet auch Luc Brossollet: "Das Justizsystem des Vatikans ist alles andere als demokratisch. Man macht und erlässt Gesetze im Namen Gottes und eben nicht im Namen des Volkes. Und um das zu machen, bedient man sich eines alten Codes, dem faschistischen Code aus der Zeit Mussolinis, der immer noch in Kraft ist." Er fordert den Vatikan auf, den Fall neu aufzurollen und eine unabhängige Untersuchung des Mordfalles Estermann außerhalb des Vatikans zu veranlassen. Denn bisher gab es weder einen Prozess im Mordfall Estermann noch hat man die italienischen Behörden eingeschaltet. Weigert sich der Vatikan weiterhin, wollen sich die Mutter des Schweizergardisten und die Anwälte an die Schweizer Justiz wenden. Mehr zum Thema auf 3sat:
Bücher zum Thema:
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Kulturzeit , 02.08.2002 | |||
http://www.3sat.de/kulturzeit/themen/35660/index.html
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