Untersuchungsberichte
von UN- und anderen Hilfsorganisationen über die Auswirkungen des
Embargos
In einem von der FAO und dem Welternährungsprogramm WFP gemeinsam
erstellten und am 13. September 2000 veröffentlichten Bericht, stellen
die beiden UN-Organisationen fest, daß trotz gewisser Verbesserungen
unter dem Öl-für-Lebensmittel-Programm, weiterhin ernste Ernährungsprobleme
im Irak existieren. "Mangelernährung bei Kindern in den mittleren
und südlichen Teilen hat sich nicht merklich verbessert und Ernährungsprobleme
bleiben ernst und weit verbreitet." Der hohe Grad an Mangelernährung
erklärt dem Bericht zufolge auch das fortwährend hohe Niveau
der Kindersterblichkeit.
Ein
ununterbrochener NiedergangIch bin jedesmal
von Neuem über den Niedergang des Landes erschrocken. Jedesmal gibt
es neue grauenhafte Dinge. Im März war es die tägliche Bombardierung
der Infrastruktur. Es gab praktisch keine Elektrizität mehr. Viele
Leute können sich keine Kerzen leisten und verwenden behelfsmäßige
Lampen. Sie stecken einen Lumpen in eine Flasche mit Öl, und solche
Flaschen platzen dann häufig. Von daher stammende Verletzungen haben
rasend zugenommen. Die Verbrennungen sind furchtbar, und es gibt keine
Möglichkeit, sie zu behandeln (Felicity
Arbuthnot) |
Diese war Gegenstand einer am 12. August 1999 veröffentlichten UNICEF-Untersuchung
über die Entwicklung der Kinder- und Müttersterblichkeit, der
ersten seit 1991. Die Untersuchung stellte fest, daß sich im Süden
und Zentrum des Landes, wo etwa 85 Prozent der Bevölkerung des Irak
leben, die Sterblichkeit von Kindern unter fünf Jahren während
des Embargos mehr als verdoppelt hat: 131 von 1000 Kindern starben 1998
vor Vollendung ihres fünften Lebensjahrs, gegenüber 56 im Jahr
1990. Auch die Sterblichkeit von Kleinkinder unter einem Jahr stieg von
47 auf 108 Tote pro 1000 lebend Geborenen."Hätte die erhebliche
Abnahme der Kindersterblichkeit in den 80er in den 90er Jahren angehalten,
so wären insgesamt eine habe Million weniger Todesfälle
in den acht Jahren von 1991 bis 1998 bei Kindern unter fünf Jahren
zu verzeichnen gewesen", schlußfolgerte die verantwortliche Direktorin
von UNICEF, Carol Bellamy.
Kindersterblichkeit im Irak
Aktuelle Schätzungen der Kindersterblichkeit
im Vergleich mit früheren Jahren:
Jahr |
unter 5 J.
|
bis 1 J.
|
1960 |
17,1%
|
11,7%
|
1970 |
12,7%
|
9,0%
|
1980 |
8,3%
|
6,3%
|
1990 |
5,0%
|
4,0%
|
1995 |
11,7%
|
9,8%
|
1998 |
12,5%
|
10,3%
|
(Quelle UNICEF Iraq Child and Maternal Mortality Surveys.,
Juni 1999) |
Auch die Zahl der bei der Geburt gestorbenen Mütter wuchs im Zeitraum
1989-1999 auf durchschnittlich 294 pro 100.000 Geburten an. Zum Vergleich:
in Deutschland liegt die Müttersterblichkeit bei 8 und in den Nachbarländern
Iran bei 31, in der Türkei und Syrien bei 110 pro 100.000. Tod durch
Schwangerschaft oder Geburt ist mittlerweile mit 31 Prozent die Haupttodesursache
bei irakischen Frauen zwischen 15 und 45.Ein Memorandum über das Embargo
gegen den Irak, das Human Rights Watch, eine der weltweit größten
Menschenrechtsorganisationen, im Januar 2000 herausgegeben hat, ergänzt
im Bezug auf diese UNICEF Studie: "Es gibt keine vergleichbar zuverlässigen
Schätzungen über die Bedrohung des Lebens, das die Sanktionen
für andere verletzliche Sektoren der irakischen Bevölkerung bedeuten.
Noch wurden jemals Versuche unternommen, das Leid zu ermitteln, das diejenigen
Iraker erleiden, die ihren fünften Geburtstag überleben. ...
Das Übermaß an Toten sollte daher als Spitze des Eisbergs unter
den Schäden die bei den Kinder unter fünf Jahre im Irak der 1990er
Jahre angerichtet wurden, gesehen werden."
Bereits im UNICEF-Bericht vom April 1998, war festgestellt worden, daß
die Zahl der Kinder, die vor ihrem fünften Geburtstag sterben, jährlich
um mehr als 40.000 im Vergleich zu 1989 zugenommen hatte, die der übrigen
Bevölkerung um 50.000. Todesursachen bei den kleinen Kindern sind
vor allem Diarrhöe, Lungenentzündung und Unter- bzw. Mangelernährung.
Dabei war Unterernährung im Irak vor dem Embargo kein Problem öffentlicher
Gesundheit. Sie nahm aber ab 1991 vor allem bei Kindern unter fünf
Jahren dramatisch zu. Der Anteil von Kindern, die aufgrund chronischer
Unterernährung im Wachstum zurückgeblieben sind, betrug 1991
bereits 18 Prozent und stieg 1996 auf 31 Prozent an. Untergewichtigkeit
nahm von 1991 bis 1996 von neun auf 26 Prozent zu und Auszehrung durch
akute Unterernährung von drei auf elf Prozent.
Entwicklung der Kindersterblichkeit im Irak
Zahl der Todesfälle unter fünf Jahren
Die
Grafik zeigt den großen Unterschied der Zahl der Toten (in Tausend)
unter 5 Jahren nach den jüngsten Untersuchungen und die Zahl die zu
erwarten gewesen wäre, wenn die Entwicklung der 80er Jahre sich in
den 90er hätte fortsetzen können. (Quelle: UNICEF Iraq Child
and Maternal Mortality Surveys., Juni 1999)
|
Generell brach der Kalorienverbrauch im Irak seit 1989 von täglich
3.120 Kilokalorien auf 1.093 im Jahr 1995 ein. Nachdem das monatliche Pro-Kopf-Einkommen
von 50 bis 100 US-Dollar auf drei bis fünf US-Dollar sank, leben vier
Millionen Iraker nach WHO-Kriterien in extremer Armut.Auch das Internationalen
Komitee vom Roten Kreuz (ICRC) äußerste sich im Dezember 1999
sehr besorgt über den "langsamen aber steten Verfall der Lebensbedingungen
im Land seit 1991". "Nur ein Jahrzehnt früher konnte der Irak eine
der modernsten Infrastrukturen und den höchsten Lebensstandard im
Nahen Osten vorweisen. Er hatte in den Jahren zuvor seine Öleinnahmen
nicht nur verwendet, um die schlagkräftigste Armee in der arabischen
Welt aufzubauen, sondern auch für ehrgeizige Entwicklungsprojekte.
Er hatte ein modernes und ausgedehntes Gesundheitssystem aufgebaut, riesige
Krankenhäuser nach westlichem Vorbild und mit den neuesten Einrichtungen.
... Er hatte ein ausgedehntes Schul- und Universitätssystem"In dem
im März 1999 vorgelegten Bericht der vom UN-Sicherheitsrat eingesetzten
"Humanitären Kommission" wird ebenfalls festgestellt, "daß am
Ende des vergangenen Jahrzehnts, die sozialen und ökonomischen Indikatoren
durchgängig über dem regionalen Durchschnitt lagen". Der pro
Kopfverbrauch an Kalorien war einer der höchsten der Welt. Die kostenlose
Gesundheitsversorgung erreichte 97 Prozent der städtischen und 78
Prozent der ländlichen Bevölkerung.
Infolge des Embargos mußte das Gesundheitsbudget auf fünf
bis zehn Prozent des früheren Betrags gekürzt werden. Krankenhäuser
blieben seit 1991 ohne Reparaturen und Instandhaltung. Neben dem Mangel
an Medikamenten führt vor allem auch der Mangel an sauberem Wasser
und der häufige Zusammenbruch der Energieversorgung zu einem ständigen
Kollaps des Gesundheitssystems.
Entwicklung der Kindersterblichkeit im Irak
"Unter fünf "-Sterblichkeit
Derselbe
Sachverhalt ausgedrückt in der Zahl von vor dem fünften Lebensjahr
verstorbenen Kindern pro 1000 Lebendgeburten (Quelle: UNICEF Iraq Child
and Maternal Mortality Surveys., Juni 1999) |
Der Zusammenbruch der Trinkwasserversorgung durch Krieg und Embargo
führten dazu, daß mittlerweile nur noch 50 Prozent der Bevölkerung
in den Städten und 33 Prozent auf dem Land Zugang zu sauberem Trinkwasser
haben – viele zuvor gut beherrschte Krankheiten, wie Malaria, Typhus und
Cholera kehrten als Epidemien wieder und sind nun erneut weit verbreitet.
Auch der Bildungssektor im Irak war überdurchschnittlich entwickelt.
"Der Irak, einst [in den 80er Jahren] von der UNESCO für seine aktive
Förderung der Erziehung geehrt, verletzt nun gezwungenermaßen
die ?Konvention über die Rechte der Kinder auf Ausbildung?. ... Dies
beinhaltet den Mangel an Basisschulmaterial, wie Schreibtafeln, Kreide,
Bleistifte, Schulhefte und Papier (vom Sanktions-Komitee als 'nicht essentiell'
eingestuft), fehlender Zugang zu Wasser und fehlende oder nicht funktionierende
sanitäre Anlagen."
83 Prozent der Schulen sind stark renovierungsbedürftig. 8.613
von 10.334 Schulen haben ernste Schäden erlitten und die intakten
sind nun oft vielfach überbelegt. Dies obwohl die Einschulungszahlen
auf 53 Prozent zurückgegangen sind. Die mangelnde schulische Betreuung
bei der gegebenen elenden sozialen Situation ist auch mitverantwortlich,
für die erheblichen Zunahme von Straßenkindern, Jugendkriminalität,
Betteln und Prostitution.
Auch die Landwirtschaft ist stark durch Krieg und Embargo beeinträchtigt.
Die Bewässerungssysteme sind zusammengebrochen, die Anlagen wurden
durch Bomben zerstört oder sind wegen fehlender Ersatzteile und Energie
außer Betrieb. Landwirtschaftliche Geräte und Ersatzteile sowie
Saatgut, Düngemittel, Pestizide etc. fehlen ebenfalls. Die Tierzucht
ist durch unkontrollierbare Ausbreitung von Seuchen, wie die Maul- und
Klauen-Seuche schwer geschädigt. Das Labor, das entsprechende Impfstoffe
herstellen konnte, war von UNSCOM zerstört worden. Die übrige
Landwirtschaft leidet unter dem Mangel an Düngemittel, Herbiziden
und Pestiziden, da aktuell der Import durch das Sanktionsregime auf weniger
als 10 Prozent des Bedarfs beschränkt wird und die Anlagen zur eigenen
Herstellung ebenfalls zerstört wurden.
Mit dem Öl-für-Lebensmittel-Programm verbesserte sich die
Lebensmittelversorgung deutlich. Nach einem WFP-Bericht vom April 1999
stand der irakischen Bevölkerung 1998 monatliche Rationen zur Verfügung,
die täglich 2.150 Kilokalorenien pro Kopf entsprachen. Diese wurden
nach Untersuchungen des WFP durch die irakische Regierung auch effektiv
und gerecht verteilt. Das Ausmaß an Unterernährung ging dadurch
etwas zurück: chronische Unterernährung von 31 auf 27 Prozent,
Untergewicht von 26 auf 23 und akute Unterernährung von elf auf neun
Prozent.
Doch auch wenn die Rationen nun einigermaßen ausreichend Energie
und Gesamtprotein enthalten, so reicht der Warenkorb den Studien zufolge
noch nicht für einen ganzen Monat: Weizenmehl reicht nur für
21, Milchpulver für zwölf und Hülsenfrüchte nur für
sieben Tage. Für eine ausreichende Ernährung mangelt es zudem
an Gemüse, Früchten und tierischen Produkten.
Mangel- und Unterernährung sind FAO und WFP zufolge häufig
auch auf andere Faktoren als unzureichende Nahrung zurückzuführen:
zu wenig und zu schlechtes Wasser und mangelhafte Kanalisation und Abfallbeseitigung.
Die Humanitären Kommission der Vereinten Nationen stellt fest,
daß das "Öl-für-Lebensmittel-Programm bei weitem nicht
ausreicht den ökonomischen Verfall zu stoppen, geschweige den die
humanitäre Situation wieder zu verbessern. Dem stimmt auch das Rote
Kreuz zu, da das Programm: "den Kollaps des Gesundheitssystems und den
Zerfall der Wasserversorgung nicht aufgehalten" habe. Zudem weist die Humanitäre
Kommission auch auf die vielfältigen sozialen und psychologischen
Auswirkungen des Embargos hin, die ebenfalls berücksichtigt werden
müssen. Dazu gehören die erhöhte Kriminalität, Zukunftsängste,
die Störungen des Familienlebens, Rückgang von Bildung und fachlicher
Qualifikation, Zerfall des Kultur- und Wissenschenschaftsbetriebes usw.
Eine ganze Generation wächst heran ohne ausreichenden Bildungsmöglichkeiten,
völlig isoliert vom Rest der Welt.
Die Humanitäre Kommission schreibt dem UN-Sicherheitsrat die Verantwortung
für diese Situation zu. "Wenn auch nicht das ganze Leiden im Irak
externen Faktoren, insbesondere Sanktionen, zugeschrieben werden kann,
so hätte die irakische Bevölkerung ohne diese langanhaltenden,
vom Sicherheitsrat auferlegten Maßnahmen und die Auswirkungen des
Krieges, nicht solche Entbehrungen zu erleiden."
Sie stimmt hier mit Human Rights Watch überein,. Die US-Menschenrechtsorganisation
stellt trotz heftiger Kritik am irakischen Regime fest, daß unabhängig
davon, was der Irak selbst zur Situation beigetragen hat, es den Mitglieder
des Sicherheitsrates nicht gestattet ist, "das Recht eines Volkes auf einen
angemessen Lebensstandard, auf Freiheit von Hunger und auf das höchstmögliche
Niveau körperlicher und seelischer Gesundheit abzuschaffen oder zu
unterminieren.
aus: Rüdiger Göbel, Joachim Guilliard,
Michael Schiffmann (Hg.) "Der Irak – ein belagertes Land
– Die tödlichen Auswirkungen von Krieg und Embargo, PapyRossa Verlag,
Köln 2001,
Broschur, 280 Seiten, Preis 14,33 Euro
ISBN 3-89438-223-6
http://www.embargos.de/irak/sanctions/un_beric.htm
.....
Joachim Guilliard, einer der Initiatoren des
Aufrufs, betont nachdrücklich, unabhängig davon, was man vom
irakischen Regime halte und welche Veränderungen man in dem Zweistromland
anstrebe, das Embargo sei nicht nur kein geeignetes Mittel, sondern selbst
ein Verbrechen, unter dem zum Teil genau diejenigen leiden, die man vorgibt,
schützen zu wollen.
Guilliard hat nun zusammen mit dem Übersetzer
Michael Schiffmann und Rüdiger Göbel von der Tageszeitung junge
Welt ein Buch über die Folgen der Embargopolitik vorgelegt, das sich
sehen lassen kann. Auf über 240 Seiten präsentieren sie unter
dem Titel »Irak - Ein belagertes Land« erstmals in deutscher
Sprache eine Sammlung authentischer Quellen zur Lage der irakischen Bevölkerung
nach zehn Jahren Sanktionen. Das Buch dokumentiert eindringlich ein weithin
verschwiegenes fragwürdiges Kapitel internationaler Politik.
Es vereint Autoren wie die UNO-Diplomaten Hans
von Sponeck und Jutta Burghardt, die im vergangenen Jahr aus Protest gegen
das Embargo von ihren Koordinationsfunktionen zwischen den Vereinten Nationen
und dem Irak zurückgetreten sind, den ehemaligen US-Justizminister
Ramsey Clark, den Sozialwissenschaftler Noam Chomsky, Journalisten wie
Felicity Arbuthnot, John Polger, und Robert Fisk, sowie Stimmen aus dem
Irak selbst - letzteres ein Tabubruch, den die fleißigen Kritiker
der Sanktionsgegner wohl mit Genuß geißeln werden.
Die Tragödie im Irak spielt sich »scheinbar
innerhalb des durch die Vereinten Nationen abgesteckten Rechtsrahmens ab«,
schreibt der Hamburger Völkerrechtler Norman Paech. »Die am
6. August 1990 erstmals durch den UNO- Sicherheitsrat verhängten Wirtschaftssanktionen,
die auch nach der Vertreibung der irakischen Truppen aus Kuwait aufrechterhalten
wurden, dauern immer noch an. Bereits nach zwei Jahren hatten sie tiefe
Spuren in der irakischen Gesellschaft hinterlassen: wachsende Verarmung,
Unterernährung, unzureichende medizinische Versorgung und hohe Sterblichkeit
vor allem bei Kindern. Im Juni 1999 meldete das irakische Gesundheitsministerium
mehr als eine Million Todesopfer infolge der Sanktionen, deren Auswirkungen
auch durch das zwischenzeitlich gebilligte Programm >Lebensmittel für
Erdöl< nicht wesentlich gemildert werden können.« Die
verantwortlichen Diplomaten der Vereinten Nationen, Hans von Sponeck und
Jutta Burghardt sowie Denis Halliday, die selbst im Irakt tätig waren,
bekräftigen in ihren Buchbeiträgen die hier zitierten Aussagen
nachdrücklich.
Aufgrund der anhaltenden US-amerikanischen Obstruktionspolitik
könne sich der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen nicht zu einer
Revision seiner Sanktionspolitik entschließen. Obwohl diese, so Paech,
»alle humanitären Standards, an die sich auch Sanktionen des
Sicherheitsrats zu halten haben, im Laufe der Jahre verlassen« hat.
Was sind die Motive und Konsequenzen der US- amerikanischen
Irak-Politik sowie der anhaltenden Zerstörung des Zweistromlandes,
fragen die beiden US-amerikanischen Wissenschaftler und Friedensaktivisten
Noam Chomsky und Ramsey Clark. Öl, Öl, Öl und nochmals Öl,
möchte man in aller Kürze sagen. Washington geht es um die strategische
Kontrolle einer der wirtschaftlich wichtigsten und rohstoffreichsten Regionen
der Welt. Nicht einmal in Ansätzen spielen der Schutz von Menschenrechten
oder die Durchsetzung demokratischer Normen in diesem Powerplay eine Rolle,
führen die beiden in ihren Aufsätzen über die Hintergründe
des Golfkrieges und das Irak-Embargo gewohnt überzeugend aus.
Dr. Mona Kammas, Leiterin der pathologischen Abteilung
der Universität Bagdad, erforscht im Irak die Auswirkungen kriegsbedingter
Umweltbelastungen, insbesondere durch Uranmunition, auf die Gesundheit
der Bevölkerung. »Der von den USA geführte Angriff im Jahre
1991 fügte der Umweltqualität und der Umweltschutzinfrastruktur
schwere Schäden zu. Im weiteren Verlauf wurden diese Schäden
nicht behoben, sondern infolge der gegen den Irak verhängten UN- Sanktionen
sogar verschlimmert.«
Die Mission des Umweltprogramms der UNO (UNEP),
das den Auftrag hatte, die Auswirkungen des Angriffs auf das irakische
Ökosystem einzuschätzen und ein Programm zur Umweltentlastung
vorzulegen, kam unter anderem zu folgenden Schlüssen: »Die Luftangriffe
mit ihren Verwüstungen durch Bomben und Granaten sowie die Raketenangriffe
haben die Infrastruktur weitgehend zerstört. Vollständig zerstört
wurden Elektrizitätswerke, Wasserwerke, Ölraffinerien und Öllager
sowie sechs Ölquellen. Eine unmittelbare Folge davon war, daß
die Bewässerungspumpen nicht mehr betrieben werden konnten.«
Darüber hinaus gelangten giftige Chemikalien durch die Bombardierung
von Industrieanlagen in den Boden und in fließende Gewässer.
Aufgrund der Zerstörung von Düngemittel- und anderen Fabriken
fehlen dem Zweistromland bis heute wichtige landwirtschaftliche Produktionsmittel.
Die Fabriken konnten nicht wieder funktionstüchtig gemacht werden,
da unter den Bedingungen des Embargos keine Ersatzteile beschafft werden
können. Auch die ehemalige Leiterin des Welternährungsprogramms
im Irak, Jutta Burghardt, unterstreicht dies.
»Eines der größten Probleme ist
die Versorgung mit Trinkwasser. Der prekäre Zustand aller Wasserversorgungseinrichtungen
wurde von mehreren Missionen der UNO hervorgehoben, die das Land nach dem
Krieg besuchten«, so Kammas.
Die Vereinten Nationen nannten die Wiederherstellung
der Wasserversorgungs- und Abwasserentsorgungsanlagen als vorrangige Aufgabe
der humanitären Unterstützung. Und doch kommt nur wenig Hilfe
ins Land. »Es ist dem Erfindungsreichtum und Engagement irakischer
Ingenieure zu verdanken, daß es möglich war, die Wasseraufbereitungsanlagen
zu etwa 50 bis 60 Prozent ihrer Vorkriegskapazität wieder nutzbar
zu machen«, schreibt Kammas. Doch Improvisation ist keine Perspektive.
Der Zustand dieses zentralen Versorgungsbereiches ist weiterhin gefährdet
und verschlechtert sich zusehends aufgrund der sanktionsbedingten Schwierigkeiten,
dringend benötigte Ersatzteile und Materialien importieren zu können.
Es ist ein Verdienst der Herausgeber, mit Mona
Kammas und Professor Ali Mansoor, den langjährigen Leiter der Deutschen
Abteilung der Fremdsprachenfakultät an der Universität in Bagdad,
auch irakische Wissenschaftler zu Wort kommen und von ihren Nöten
berichten zu lassen. Man muß dabei nicht jeden ihrer Sätze unterschreiben,
wie auch bei den anderen Beiträgen nicht. Und doch gilt für die
wohl weiter andauernde Kontroverse, was Rüdiger Göbel am Ende
schreibt: »Den massenhaften Sanktionstod als Massenmord zu benennen,
muß nicht heißen, sich mit der Führung in Bagdad einverstanden
zu erklären.«
http://www.embargos.de/literatur/besprechung_jw.htm |