Das
Ausmaß westlicher Unterstützung für das irakische Regime
Alle westlichen Industrienationen, so Hans Leyendecker, SPIEGEL-Redakteur und Autor des wichtigsten Buches über die deutschen Todesgeschäfte mit dem Irak, haben sich an den gigantischen irakischen Rüstungsprojekten beteiligt. Als Begründung - oder Vorwand - dienten der iranisch-irakische Krieg und westliche Interessen am Golf. "Wir reden nicht über Hunderte von Millionen, sondern über Milliarden, und jedes europäische Land wollte ein Stück vom Kuchen haben. Wie keine andere Nation haben jedoch die Deutschen Saddam flächendeckend mit hochgefährlichem Zeug ausgestattet." Daß mittelständische deutsche Firmen wie Karl Kolb, Pilot Plant und WET dem Irak komplette Anlagen für die Giftgasproduktion lieferten, war seit 1984 bekannt. Die Bundesregierung reagierte damals unwirsch auf diese Informationen, die vor allem aus den USA und Israel kamen. Der damalige Wirtschaftsminister Bangemann machte "reinen Konkurrenzneid der Amis" im lukrativen Irak-Geschäft aus, und ein Beamter seines Ministeriums erklärte der New York Times: "Demnächst sollen wir wohl auch noch den Export von Hämmern unterbinden, weil irgend jemand sie nutzen könnte, anderen damit auf den Kopf zu schlagen." Reagiert wurde mit halbherzigen Verschärfungen von Exportkontrollen. Doch in den folgenden Jahren wurden weitere Irak- Rüstungsskandale aufgedeckt: In die Lieferung von C- Waffenproduktionsanlagen waren Konzerne wie Preussag mittels Tarnfirmen verwickelt, MBB (mit einem Anteil von 75 Mio DM allein am Raketenforschungsprojekt Saad 16), Thyssen und Rheinmetall hatten dem Irak hochmoderne Anlagen für sein Raketenprogramm und die Produktion von Kanonen geliefert. Die Aussagen des 1995 nach
Jordanien geflohenen und nach seiner Rückkehr in den Irak ermordeten
ex-Superministers für Militärrüstung, Hussain Kamil al-
Majid, durchgesickerte UNSCOM-Erkenntnisse und Presseberichte brachten
einiges mehr ans Tageslicht:
- 70 % der Giftgasanlagen im Irak kamen von deutschen Firmen. Nach Saddams Überfall auf Kuwait im August 1990 wurde publik, daß mehrere Angestellte dieser Firmen für den Bundesnachrichtendienst arbeiteten.
Aus all dem resultiert der Eindruck, daß es sich bei dem deutschen Beitrag zu irakischen Rüstungsprogrammen vor allem im Giftgas-, Nuklearwaffen- und Raketenbereich um eine gezielte Politik deutscher Unternehmen handelte, die von der Regierung geduldet, teilweise gefördert und evtl. sogar mitbetrieben wurde. Die Rüstungsprojekte im Irak, vor allem im Bereich ballistische Raketen, weisen Parallelen zu anderen bundesdeutschen Aktivitäten z.B. im nukleartechnischen Bereich im Fall Südafrika auf, mit denen jenseits des offiziellen Verzichts auf Massenvernichtungswaffen in verdeckter Form versucht wurde, an solchen Rüstungsprojekten zu partizipieren. Bereits in den 70er Jahren, nach der Suspendierung der Mitgliedschaft Ägyptens in der Arabischen Liga, hatte der Irak die Konkursmasse der bis dato unter ägyptischer Federführung laufenden "Hochkomission der Arabischen Rüstungsgemeinschaft" übernommen, die eine strategische Parität mit Israel herbeirüsten sollte und mit der französische Rüstungskonzerne und deren deutsche Partner Dornier, MBB und Siemens kooperierten. Frankreich, Großbritannien,
Rußland und vor allem die USA haben den Irak in den 80er Jahren intensive
Beziehungen zum Irak gepflegt. Im militärischen Technologiebereich
wurden irakische Beschaffungsnetzwerke geduldet und gefördert. In
den USA ist die Unterstützung des Irak durch die Reagan- und Bush-Administrationen
unter dem Stichwort Iraqgate bekannt geworden. Die USA hatte den Irak im
Krieg gegen den Iran massiv unterstützt: 1982 wurde Irak von der Liste
der Terrorismus-Unterstützerstaaten gestrichen, 1984 die diplomatischen
Beziehungen wieder aufgenommen. Während des Krieges bekam Bagdad amerikanische
Satellitenbilder und militärischen Informationen über den Iran
- bis hin zum "battlefield management" (strategische Beratung durch amerikanische
Experten) - bis die USA schließlich 1987 direkt im Persischen Golf
intervenierten. Über Jordanien bekam der Irak auch amerikanische Waffen,
z.B. HAWK-Raketen. Umfangreiche staatliche Kreditgarantien für amerikanische
Landwirtschaftsexporte in Höhe von 5 Mrd. $ wurden gewährt. Über
die Filiale der Banco Nazionale de Lavoro (BNL) in Atlanta wurde ein verdecktes
Kreditgeschäft aufgezogen. Der Irak konnte sich damit Anlagen und
Ausgangsstoffe für sein Massenvernichtungswaffenprogramm beschaffen,
u.a. Chemikalien für C-Waffen, Ausrüstung für das Nuklearwaffenprogramm
(US-Konzern Dupont) und Hewlett- Packard-Computer für die Raketenentwicklung.
Von den US-Krediten profitierten auch europäische und deutsche Firmen,
die im Irak-Geschäft tätig waren.
Die Übergangszeit: 1988 - 1990 Die UN und ihre Mitgliedsstaaten haben es während des iranisch-irakischen Krieges versäumt, in adäquater Form auf die 1984 erstmals erfolgten irakischen C-Waffeneinsätze zu reagieren, und damit den Gebrauch von C- Waffen quasi sanktioniert. In den UN-Resolutionen 612 und 620 zum Golfkrieg, wurden die C-Waffeneinsätze zwar verurteilt, der Irak der aber nicht als Täter benannt. Auch als die Iraker 1987 begannen, Giftgas gegen die Kurden einzusetzen, reagierte die UN nicht. Die Vereinten Nationen haben damit, so der Genozidforscher Leo Kuper, auf geradezu skandalöse Weise den Anspruch des irakischen Regimes, "als Teil seiner Hoheitsgewalt Anspruch auf Genozid oder Massaker an bestimmten Volksgruppen" zu haben, sanktioniert. Auch beim Inkrafttreten des Waffenstillstands im irakisch- iranischen Krieg und bei der UN-Überwachung desselben nahm die UN die Situation der kurdischen Bevölkerung im Irak nicht zur Kenntnis. Auch nach Halabja und den Anfal-Offensiven erfolgte keine wirksame Verurteilung des Irak. Bei der Tagung der UN-Menschenrechtskomission im Frühjahr 1989, wo die Menschenrechtsverletzungen und die C-Waffeneinsätze im Irak auf der Tagesordnung standen, wurde durch eine denkwürdige Koalition von Arabischen Staaten, realsozialistischen Ländern und Industriestaaten eine Verurteilung des Irak verhindert. Auf der Pariser Konferenz zur Überprüfung des Genfer C-Waffenprotokolls von 1925 im März 1989 wurde in der Schlußerklärung jede Erwähnung der irakischen Giftgaseinsätze vermieden. Der einzige, der das irakische Regime direkt angriff und auch Halabja erwähnte, war der israelische Außenminister. Bundesaußenminister Genscher sagte dort, die eigene Rolle völlig verdrängend: "Ich habe vor den Gefahren der Proliferation gewarnt. Leider hat der Golfkrieg die Berechtigung dieser Warnung bestätigt." Derweil standen die deutsche Bauwirtschaft, Maschinen -und Fahrzeugbauer, Elektroindustrie, Chemie, Feinmechanik und Optik, aber auch Banken und Consultingfirmen "Gewehr bei Fuß", wie die Süddeutsche Zeitung schrieb, um in das Nachkriegsgeschäft im Irak einzusteigen. Auch die USA setzten ihre Unterstützung des irakischen Regimes als "regionale Ordnungsmacht" fort. Eine Initiative für ein Gesetz zur Verurteilung des Genozids im Irak im US-Kongreß wurde abgebügelt, das Irak- Kreditprogramm mit 1 Mrd. US$ neu aufgelegt. Nach Iraks Kuwait-Invasion 1990 hatte die Bush-Administration wiederholt behauptet, über den Charakter und das Ausmaß der irakischen Offensiven gegen die Kurden nicht informiert gewesen zu sein. Middle East Watch wies jedoch anhand von freigegebenen Dokumenten nach, daß zumindest ein Teil der Administration im April 1988 von Massenumsiedlungen Kenntnis hatte. Ein Bericht der "Defense Intelligence Agency" aus der US-Botschaft in Bagdad vom 19. April 1988 besagt, daß schätzungsweise 1,5 Mio. Kurden bereits umgesiedelt wurden. Erst nach der irakischen Invasion in Kuwait am 2. August 1990 endete die multilaterale Unterstützung für den Irak - und wurde die Zerstörung des irakischen Massenvernichtungspotentials zum Kriegs- und Nachkriegsziel der Golfkriegsallianz. *** Auszug
aus: "Irakische Vernichtungswaffen und industriestaatliche Proliferation:
Die UN-Komission für Irak (UNSCOM) und die Bundesrepublik" von Ronald
Ofteringer
http://www.coli.uni-sb.de/~pietsch/stop-war/PineSGI4101011217160047031669075-100000.html
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