CHINA

`China` heißt das neue imaginierte “Wirtschaftswunder“ in Asien; nachdem von den vorher bejubelten “Tigerstaaten“ mehr oder weniger nur noch die Kadaver existieren. Von überall her tönt es: “Es lebe das 8%-El Dorado!“ Doch der neue Stern erweist sich im rechten Licht gesehen als eine weitere sozialökonomische Supernova, bei deren Analyse altlinke, klassenkämpferische Parolen in puren Anachronismus münden. In China werden zwar zweifelsohne Menschen brutal ausgebeutet (wie ja überhaupt “Kapitalismus“ auf Ausbeutung beruht); aber wie es Robert Kurz in `Die Himmelfahrt des Geldes` (in: `Krisis – Beiträge zur Kritik der Warengesellschaft; Ausg. 16/17; Horlemann-Verlag; 1995; www.krisis.org ) treffend pointierte, sagt das noch lange nichts über die reale Akkumulationsfähigkeit des Kapitals aus (was ja als Bedingung realer Akkumulation auch ein stets größeres Einsaugen von wert- und somit auch mehrwertschöpfenden Arbeitsquanta auf gegebenem Produktivitätsniveau beinhalten muss). Es reicht also kein altlinkes Moralisieren – vor allem nicht das perfide-miefige: “Guter“ Kapitalismus (“Gute“ Ausbeutung) versus “Böser“ Kapitalismus (“Böse“ Ausbeutung), um zu begreifen, was tatsächlich in China vor sich geht.

In China sieht es nämlich vielmehr so aus, dass ein Großteil der Menschen eben nicht mehr ausgebeutet, sondern vom System schlichtweg als “überflüssig“ ausgespieen wird (wie es ja eben auch global geschieht: 5,5 Milliarden “Überflüssige“ bzw. “Unrentable“ – Menschen, die in der DRITTEN INDUSTRIELLEN REVOLUTION für die “Warenproduktion“ (Tauschwert-Fetisch) “nicht mehr benötigt werden“). Kurioserweise sehen selbst linksliberale, konservative (Süddeutsche (SZ), Rheinische Post (RP)) und sogar neoliberale Blätter wie Financial Times (FT), Financial Times Deutschland (FTD), Handelsblatt (HB), u.a. das - bzw. die reale Lage in China - viel klarer als große Teile der (deutschen) (vermeintlich radikalen) Linken.
 

Hier also einige interessante Fakten jenseits der Parolen:

Wenn wie allseits posaunt das “Wachstum“ Chinas 2002 bei 8% lag, so sagt das an sich noch gar nichts aus: Entscheidend ist die Analyse, wie diese ominösen “8%“ zustande kommen – und vor allem: ob da überhaupt Substanz gegeben ist.

De facto haben besagte “8%“ nämlich gar nichts mit irgendeiner “Realakkumulation“ zu tun, sondern bestehen größtenteils aus “Deficit Spending“ auf allen Ebenen oder ansonsten auf “Kapitalexport“ (und in dessen Folge auf einer so genannten “Exportoffensive“). In einem Artikel der SZ (01/03) kann mensch dann lesen, dass diese “8%“ zum einen auf “privaten Ausgaben“ (also “Konsum“) beruhen, „...wobei vor allem die Ausgaben für Wohnungen und Autos um 18% gestiegen seien.“ Das hört sich toll an – in China bricht der Wohlstand aus. Da zeigt sich doch, dass die Menschen “gut verdienen“, und endlich shoppen (sense of life) gehen können (vor allem bei “Lohnkosten“, die gerade mal bei 2 bis 3 Prozent der amerikanischen liegen – und die wiederum liegen durchschnittlich um 20 Prozent unter den deutschen).

Doch Schreck – ein Artikel im Handelsblatt vom 19.11.2002 trägt eine doch etwas ernüchternde und merkwürdigerweise ganz schön fette Überschrift: “Immobilienkrise droht Chinas Banken zu sprengen“. Lapidar wird in diesem Artikel festgestellt, dass seit Ende 1999 die Zahl der Hypothekenkredite an private Kunden um 388% gestiegen ist. Im gleichen Artikel wird aber jedoch ebenso vermeldet, dass, laut Schätzung der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), der Bestand an faulen Krediten 410 Mrd. Dollar beträgt; Honkonger Quellen zufolge sogar 500 Mrd. Dollar. Und damit mensch sich ein Bild machen kann, was das im Verhältnis zur Gesamtkreditmasse bedeutet, empfiehlt sich ein Artikel der FTD (Rubrik: Agenda) vom 18.07.2003: „Die Rating-Agentur Standard & Poor`s schätzt, dass rund die Hälfte der Kredite in den Büchern der chinesischen Banken faul sind – ein Volumen von rund 500 Mrd. Dollar. „Das ist eine gewaltige Bedrohung des Finanzsektors“, sagt Chen Xingdong, Chinachef von BNP Paribas Penegrine.“ – Da hat er wohl recht. Und somit kann mensch sagen, dass sowohl das “Traute Heim“ als auch die “Freude am Fahren“ reine Fiktion darstellen.

Bei der weiteren Aufschlüsselung der tollen “8%“ stellt die FTD vom 20.01.2003 trocken fest: „...Wie zuvor die Begeisterung über Japan und Asiens Tigerstaaten könnte (nicht “könnte“, sondern “wird“) auch die China-Euphorie bald ein jähes Ende finden und einer realistischen Bewertung der Chancen und Risiken (von wegen: “Chancen und Risiken“ – stattdessen: Sozialökonomischer Super-GAU) Platz machen. Denn für das Wirtschaftswachstum von etwa acht Prozent 2002 waren neben dem boomenden Export vor allem staatliche Konjunkturprogramme verantwortlich, die das Etatdefizit in ungeahnte Höhen steigen ließen (Anmerkung: laut FTD-Artikel vom 06.03.2003 belief sich das Defizit auf annähernd 33 Mrd. Euro – ( in diesem Artikel wird anschließend offiziell schon mal ein neuer “Rekord“ für 2003 in Höhe von 35,5 Mrd. Euro sowie ein nochmals um 9,6% gesteigertes Militärbudget verkündet (s.u.))).

Und weil diese Passage so schön plastisch die reale Lage Chinas wiedergibt, geht`s ungekürzt und ungeschnitten weiter: „Zudem steht China vor drei Herkulesaufgaben. Das marode Staatsbankensystem (s.o.) muss saniert werden, und der Aufbau eines sozialen Sicherungssystems ist nötig, um die Reform (schönes Wort für Bankrott) der Staatsunternehmen und die Risiken der außenwirtschaftlichen Öffnung (alias “Konkurrenzmassaker“ - siehe auch: `Die Himmelfahrt des Geldes`; Kapitel 5; `Globalisierung und Phantom-Industrien`) abzufedern. Schließlich sind enorme staatliche Mittel gefragt, um das immense Entwicklungsgefälle zwischen dem reichen (vielmehr wohl “reichgerechneten“ (s.u.)) Osten und dem armen Westen (alias “Giga-Slum“) des Landes auszugleichen. Zusammengenommen könnten diese Lasten (das ist keine “Last“ mehr, sondern eine reale “Mission: Impossible“) die Staatsschuld, die heute nach offiziellen Angaben unter 60% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) beträgt, schnell auf 130% oder mehr erhöhen.“ – Als Ergänzung: laut des schon oben erwähnten Artikel der SZ, „...werde das BIP 2002 1,22 Billionen Euro betragen“.

Ein BIP von 1,22 Billionen Euro – das hört sich doch ebenfalls echt toll an (vor allem, wenn mensch das auf die oben erwähnte anstehende Verschuldungsquote berechnet –o, je). Doch bei einer Bevölkerung von ca. 1,2 Milliarden Menschen macht das gerade mal eintausend Euro pro Kopf im Jahr - das BIP Nordrhein-Westfalens (ca. 17 Millionen Einwohner) betrug 2002, obwohl um 0,3% geschrumpft, immer noch 459 Milliarden Euro (das macht ca. 33 400 Euro pro Einwohner, bezogen auf die real Erwerbstätigen dann sogar 55.000 Euro) (SZ, 06.02.2003), d.h. das BIP Chinas ist gerade mal gut doppelt so groß wie das von NRW. Erst recht nur noch blankes Kopfschütteln in Hinsicht auf die Hurra-Apostel bleibt, wenn mensch sich die Eckdaten der Wirtschaft in den USA, Japan, der Eurozone und Deutschland ansieht: 

So betrug das BIP der USA 2002 11047,5 Mrd. Euro (288 Millionen Einwohner (EW)), das Japans 4241,5 Mrd. Euro (127,4 Millionen EW), in der gesamten Eurozone 7050 Mrd. Euro (307,8 Millionen EW) und in der BRD 2108,2 Mrd. Euro (82,5 Millionen EW) (Entnommen aus FTD `Kompass`, Rubrik: Politik und Wirtschaft – Quellen: Bundesbank, Eurostat, OECD, IWF, WTO). Zusammengenommen (USA, Japan und Eurozone – was auch heißt, dass Länder wie Schweden und die Schweiz noch gar nicht enthalten sind) erwirtschafteten also 723,2 Millionen Menschen ein BIP von 22339 Mrd. Euro, also 60% der Einwohnerzahl im Verhältnis zur chinesischen Gesamtbevölkerung erwirtschafteten 1800% des chinesischen BIP; pro Kopf macht das grob 30 000 Dollar, und somit das 30-fache oder 3000% der chinesischen Wirtschaftsleistung pro Kopf.– Mal ganz nebenbei: Selbst wenn “China“ ein “REALES“ jährliches “Wachstum“ von 10% aufwiese (was in der DRITTEN INDUSTRIELLEN REVOLUTION – und nach dem Zusammenbruch der Akkumulationssimulation, selbst SIMULIERT – unmöglich ist), bräuchte das “Ost-El Dorado“ 30 Jahre um in Bezug auf das BIP gleichzuziehen – und das innerhalb eines Systems, das auf der ewigen Anhäufung von Zeit beruht, gleichzeitig jedoch die Zeit sukzessive überflüssig macht. Noch Fragen???

Bevor der reale Horrorfilm anläuft noch einmal zurück zu den virtuellen “8%“. Nicht zu vergessen sind da nämlich zum einen auch noch die exorbitant gesteigerten Rüstungsausgaben, die 2002 um 18% angehoben wurden und ca. 19 Mrd. Euro betrugen und die, wie oben schon mal kurz erwähnt, 2003 nochmals um 9,6% auf 20,5 Mrd. steigen sollen, zum anderen die angeführte “Exportoffensive“, die jedoch wiederum hauptsächlich auf Kapitalexport aus Kostengründen bzw. El-Dorado-Phantasien beruht. Dabei zeigt gerade die “Exportoffensive“ klar und deutlich, dass dieses “Wachstum“ nichts als ein Strohfeuer ist; wenn überhaupt. China ist nämlich nur ein weiterer Zusammenbruchskandidat im pazifischen Defizitkreislauf (eindeutig auch in `Die Himmelfahrt des Geldes` beschrieben (Kapitel 8; `Die globalen Defizitstrukturen und der kurze Sommer des Kasinokapitalismus`)), was sich im desaströsen Außenhandelsdefizit der USA klar wiederspiegelt. Dieses betrug 2002 468 Mrd. Dollar, wobei fast ein Viertel dieses Defizits im Handel mit China anfiel, nämlich satte 103 Mrd. Dollar (FTD, 10.07.2003, `Experten verteidigen Chinas Wechselkurs`). Da die chinesische Währung jedoch strikt an den Dollar gebunden ist, muss die chinesische Regierung schon seit Monaten immer wieder massiv intervenieren, um eine Aufwertung der eigenen Währung zu verhindern, die den Export abwürgen würde (siehe gleicher Artikel). 

Dass das trotzdem geschehen wird, also bye, bye Export, liegt auch an dem sich abzeichnenden Zusammenbruch der globalen Immobilienblase, die in den letzten Jahren (trotz Börsencrashs) den ungebremsten Konsum in den USA, Großbritannien und Australien getragen hat (– siehe Projekt `Freddie Mac`) sowie an dem eben erst jetzt voll durchschlagenden Zusammenbruch der Akkumulationssimulation (alias “Börsencrash“) Allerdings wird auch die hauseigene Immobilienblase dem chinesischen “Wirtschaftswunder“ ein “Blaues Wunder“ bescheren: (HB 19.11.2002 – ein wirkliches Schmankerl, dieser Artikel) „... „Schnell steigende Preise und wachsende Leerstandsraten, haben die Risiken in diesem Sektor erhöht“, heißt es im geldpolitischen Bericht der Notenbank für das 3. Quartal. Die Leerstände sind nach offiziellen Zahlen auf über 14%, in Peking sogar auf 26% Prozent gestiegen, schreibt die lokale “China Business News“. ... Für die Banken besteht eine signifikante Gefahr, sagen Experten. „Das Engagement der Banken bei den Bauentwicklern ist ein beachtliches Risiko“, schrieb im August Morgan Stanley in Hongkong in einer Analyse mit dem Titel “Platzt die Immobilienblase?“ 

Chinas Banken sehen die Entwicklung mit Sorge. Sie haben in den letzten Monaten – um Marktanteile zu gewinnen – oft die Vorgabe der Notenbank ignoriert, höchstens 80% des Immobilienwertes zu beleihen. Doch eine Korrektur der Immobilienpreise um nur 25%, sagt der Volkswirt Yang Jianwen bei der Akademie der Sozialwissenschaften in Shanghai, würde die faulen Kredite der Banken um drei Prozentpunkte erhöhen. Das wäre ein Anstieg der offiziell eingestandenen faulen Kredite um 15%. Kein Wunder, dass Morgan Stanley eindringlich warnt, „Chinas Banken müssen ihre Kredit-Konditionen so schnell wie möglich verschärfen.“ “ – (was natürlich auch nicht geht, da ansonsten der private Vodookonsum kollabiert) Auch zu diesem Teil des fabulierten “Wachstums“ bedarf es keines weiteren Kommentars, zumal auch noch ein weiteres Zitat aus diesem Artikel sowohl nochmals das “Wachstum“ wie auch die schon erwähnten “Unternehmensreformen“ ins rechte Licht rückt: „In den Augen der Zentralregierung liest der Boomsektor (also die Bau-Bubble) Zehntausende gestrandeter Arbeiter aus maroden Staatsfirmen auf (tolle “Reform“) und trägt 30% zum BIP-Wachstum des Landes bei.“

Auch die 2002 auf ein Rekordniveau gestiegenen ausländischen Direktinvestitionen (die in der Regel nichts anderes als Produktionsverlagerungen aus “Kostengründen“ beinhalten – und somit Arbeitsplatz- und dementsprechend “Kaufkraftvernichtung“ andernorts) sind nur ein weiterer Teil des potemkinschen Wachstums: Zwar verzeichnete China 2002 ausländische Direktinvestitionen von über 50 Mrd. Dollar, und somit mehr als alle anderen asiatischen Länder zusammen (Welt, 27.02.2003), doch wurde dieser Zufluss konterkariert von um so höheren Kapitalabflüssen. „In den Jahren 1998, 1999 und 2000 betrug die Kapitalflucht aus China nach Angaben der Rating-Agentur Fitch zwischen 50 und 60 Mrd. Dollar und lag damit über den ausländischen Direktinvestitionen.“ (FTD, 12.06.2003). Dennoch haben diese Direktinvestitionen beträchtlichen Einfluss auf das “Wachstum“: „...Charles Wolf von der US-Denkfabrik Rand schätzt, dass Direktinvestitionen im Wert von 10 Mrd. Dollar das BIP um 0,9 bis 1,6% erhöhen. Sollten sich die jährlichen Zuflüsse um 20 Mrd. Dollar reduzieren, würde dies die Wachstumsrate vermutlich halbieren.“ (FTD, 20.01.2003) Und so wird es auch wohl kommen: „Unterdessen bedroht die schlechte Wirtschaftslage in Chinas wichtigsten Exportmärkten auch das zweite Standbein der Konjunktur (das erste, wie aus gleichem Artikel ja schon dargestellt, sind die staatlichen Konjunkturprogramme, „die der Staat in diesem Jahr (2003) beibehalten will, doch wobei selbst Regierungsvertreter von einer schwierigen fiskalischen Situation sprechen. Schneller als erwartet steigen die Ausgaben; die Einnahmen bleiben hinter den Erwartungen zurück.“). Optimisten (die hegel`schen “Meiner“) setzen zwar darauf, dass die Konsumenten in den USA, Japan und Europa wegen der schlechten Lage vermehrt preisgünstige Produkte kaufen, die eben häufig in China hergestellt werden (aber auch für die brauch mensch erst mal “Geld“). Ebenso gut vorstellbar ist jedoch, dass die zuletzt überraschend hohe Nachfrage nach chinesischen Produkten bald endet und die Schwäche der Weltwirtschaft auf die Exporte durchschlägt.“

„Es sollte niemanden wundern, wenn auch China bei seiner Aufholjagd Rückschläge einstecken muss. - (ein Paradebeispiel einer zum Scheitern verurteilten “Nachholenden Modernisierung“, siehe auch: Robert Kurz; `Der Kollaps der Modernisierung`; Reclam-Leipzig; 1993; (Taschenbuchausgabe)) Gefährlich ist jedoch, dass das erste Opfer einer Wachstumsschwäche vermutlich die China-Begeisterung in den Chefetagen des Westens wäre – was wiederum eine Krise noch verschärfen würde Denn zwischen dem Kapital aus dem Ausland und dem chinesischen Wachstum besteht ein enger Zusammenhang.“ - (siehe Zitat Charles Wolf) Und weil’s so schön ist vermeldete die OECD am 19.06.2003 passend dazu, dass die Direktinvestitionen im Ausland dramatisch eingebrochen sind. 2003 sei ein weiteres Minus von 25 - 30% zu befürchten, und schon jetzt liegen die Engagements nur bei einem Drittel des Niveaus von 2000 (FTD, 20.06.2003). Tatsächlich macht sich, ebenfalls passend , auch in den genannten “Chefetagen“ “Unmut“ breit: VW-Vorstandsmitglied Folker Weißgerber in der SZ vom 29.01.2003: „... „Dennoch ist China nicht mehr das “low-cost-Land“, wie häufig angenommen wird. Im konzerninternen Kostenranking rangiert China zwar im unteren Drittel, kommt der Mitte jedoch schon nahe. Am besten stehen derzeit Polen und die Slowakei da“. Langfristig will VW innerhalb Chinas nach günstigeren Standorten suchen.“ Schöne Aussichten.

Soweit zu den “8%“. Viel verheerender und gefährlicher jedoch stellt sich der soziale Sprengstoff dieses Amoklaufs dar, also das, was “Rationalisierung“ bzw. “Weltmarktöffnung“ anrichten. So titelte die Rheinische Post am 24.02.2003: “Chinesische Zeitbombe – Im Reich der Mitte kollabiert die Staatswirtschaft“ – um dann gleich fortzufahren: „Im postkommunistischen China wächst das soziale Gefälle rasend schnell. Die hohe Arbeitslosigkeit verschärft die Ungleichheit.“ Und weiter: „Selbst offizielle Beschäftigungsstatistiken gehen von einer Arbeitslosigkeit von bis zu 60 Millionen Menschen aus, nicht einmal eingerechnet jene 150 Millionen Arbeitskräfte auf dem Land, die beschäftigungslos beschäftigt sind.“ – und bezüglich des sich rasant verschärfenden sozialen Gefälles heißt es dann dort: „Im Ausland dauerte es hundert Jahre, bis es zu Einkommensunterschieden kam, wie China sie in zwanzig Jahren erzeugt hat“, klagt der Pekinger Sozial-Forscher Lu Xueyi. In den Städten schicken immer mehr zu Geld gekommene (also “reichgerechnete“) Chinesen ihre Kinder in ausländische Privatschulen oder Universitäten, und auf dem Land reicht oft nicht das Geld für die baufälligen Schulen. Von 3000 Grundschulen war nach einer Untersuchung der chinesischen Rechtszeitung jede sechste einsturzgefährdet. In Chongquing am Jangtse sollen 20 000 Kulis leben, und an den Anlegestellen der Touristenschiffe tummeln sich die Bettler.“ In einem Artikel der SZ vom 06.02.2003 werden diese entwurzelten und entrechteten Menschen dann dummdreist “Wanderarbeiter“ genannt (ansonsten ist der Artikel `Der lange Marsch der armen Gesellen` voll und ganz lesenswert), obwohl sie in Wirklichkeit BINNENFLÜCHTLINGE sind (von denen es mittlerweile 200 Mio. gibt), die sich unter elendsten Bedingungen, ohne soziale Sicherung verdingen müssen – Mao würde wissen, was zu tun ist.

Noch drastischer beschrieb Chinas geschiedener Ministerpräsident Zhu Rongji die Lage: „Armut und Verzweiflung der 800 Millionen Chinesen aus ländlichen Gebieten könnten die Zukunft des Landes gefährden“, zitiert die FTD vom 06.03. 2003 den Heuchler. Denn ein paar Zeilen weiter kann mensch dem Artikel entnehmen, dass Asi Zhu in den fünf Jahren seiner Amtszeit genau dieses Elend mit forciert hat: Er handelte den Beitritt Chinas zur WTO aus, leitete “Reformen“ ein, im Zuge derer Staatsbetriebe 27 Millionen Arbeiter entließen (nach einer AFP- Meldung vom 01.09.2003 sind allein seit 1995 7.798 staatliche Firmen bankrottiert, weitere 2.000 stehen mehr oder weniger unmittelbar vor dem Aus) und etliche chinesische Unternehmen in New York und Hongkong an die Börse gingen (natürlich entweder um Kapital für Rationalisierungsmaßnahmen zu beschaffen, also noch mehr werktätige Menschen “überflüssig“ zu machen, oder von vornherein als Seilschaftsabzocke initiiert). 

Doch auch diesen korrupten Alphamännchen / Alphaweibchen droht zunehmend gesundheitsgefährdendes Ungemach in Form immer zahlreicher werdender Proteste (die in der Provinz mitunter schon Aufstandscharakter annehmen). In einem Artikel in der SZ (ließ sich leider unter den inzwischen mehr als 3000 gesammelten Artikeln seit Juli 2002 nicht auf Anhieb wiederfinden – genaues Datum wird also noch nachgereicht) von Anfang 2003 wird die Zahl der Proteste/Aufstände mit über zehntausend “Teilnehmern“ auf mehr als 100 beziffert; die Zahl der Proteste/Aufstände mit unter zehntausend seien kaum noch zu zählen. Und die FTD vom 23.06.2003 bestätigt diese Angaben: „In allen Landesteilen sind groß angelegte Unmutsbekundungen nichts neues. Tausende sind es jedes Jahr, mit zum Teil Tausenden von Teilnehmern.“ - Merkwürdig: Im selben Artikel wird von einem Massenprotest von 4000 Textilarbeitern im ostchinesischen Ningbo berichtet, die höhere Löhne und Erhalt ihrer Arbeitsplätze forderten – wie war das doch noch gleich mit dem “reichen“ Osten??? Und auch um den Nordosten steht es nicht zum besten – FTD, 08.08.2003: „Nach dem unterentwickelten Westen will die chinesische Regierung nun auch die Schwerindustrie im Nordosten des Landes wirtschaftspolitisch unterstützen. ... Früher war die Region der Stolz des kommunistischen China. Seit Beginn der Reformen (ja,ja – die guten alten “Reformen“) ist sie zum Sorgenkind der Nation geworden. Vor allem Massenentlassungen von Arbeitern unrentabler Staatsbetriebe (genau: rentabel oder tot lautet das Credo) haben in jüngster Zeit für viel sozialen Sprengstoff gesorgt.“ – Irgendwie könnte mensch meinen, dass Super(nova)china nur noch aus Süden besteht. Doch selbst da ist der Verfall deutlich zu sehen; trotz Glitzerfassaden. 

Alles in allem dürften im Vergleich zum chinesischen Türmchenbau selbst Luftschlösser mehr reale Bausubstanz besitzen, und die Gefahr ist mehr als groß, dass dieses sozialökonomische Pulverfass in nicht allzu ferner Zukunft zur sozialökonomischen Wasserstoffbombe mutiert.
 

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